Zweiter Likud oder Oppositionskurs?

Auf dem Parteitag der israelischen Arbeitspartei werden „Tauben“ und „Falken“ ihre Kräfte messen  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

In Jerusalem wird heute abend der Parteitag der israelischen Arbeitspartei eröffnet. Es ist mit vehementen und sehr grundsätzlichen Debatten zu rechnen, denn nach dem Golfkrieg und der Eröffnungsrunde der Nahostkonferenz in Madrid ist eine Anpassung des außenpolitischen Programms der Partei erforderlich. Alle Entscheidungen der 3.000 Delegierten, insbesondere die Wahl eines neuen Parteivorsitzenden, werden voraussichtlich in diesem Kontext gefällt. Zugleich stellen sie die Weichen für die politische Zukunft der Arbeitspartei.

Die Minderheit der „Tauben“ innerhalb der Partei verlangt radikale Änderungen im Zuschnitt des außenpolitischen Programms. Die Mehrheit der „Falken“ weist diese Forderung mit Nachdruck zurück — teils aus ideologischen, teils aus pragmatischen Gründen. Sie unterstützen mehrheitlich die Position von Ex- Außenminister Jizchak Rabin, der gegen seinen alten Rivalen, den jetzigen Parteivorsitzenden Schimon Peres, mit guten Aussichten auf Erfolg kandidieren wird: Nur eine an der Politik des regierenden Likud und Ministerpräsident Schamir orientierte „harte Linie“ werde der Partei eine Chance in den für 1992 anstehenden Wahlen geben.

Dagegen fragen die Mitglieder einer profilierten Gruppe der „Tauben“, die sogenannten „Radikalen Sechs“: „Wozu brauchen wir einen zweiten Likud?“ Sie verlangen, daß die Arbeitspartei die PLO anerkennt und für direkte Gespräche mit ihr eintritt, ebenso wie für territoriale Kompromisse. Sie haben mit ihrem Austritt aus der Partei gedroht, falls sich für ihre Forderungen keine Mehrheit findet. Das Vorbereitungskomitee für den Parteitag hat sich aber bereits gegen ihr Programm ausgesprochen.

Auch mit der Kandidatur von Rabin gegen den bisherigen Parteivorsitzenden Peres steht die Zukunft der „Tauben“ zur Debatte. Denn selbst wenn Peres nicht als „Taube“ gilt, vertritt er doch eher kompromißbereite Positionen als Rabin. Letzterem werden aber in Umfragen unter Parteimitgliedern die besseren Chancen eingeräumt. Wenn Rabin die Wahl gewinnt, haben die „Tauben“ in der Partei schlechte Chancen auf erfolgversprechende Listenplätze bei den nächsten Knesset-Wahlen.

Außer Peres und Rabin kandidiert für den Posten des Parteivorsitzenden noch der Generalsekretär des Gewerkschaftsverbandes Histadrut, General Jisrael Kaisser. Er hätte nur dann eine Chance, wenn es zu einem Patt zwischen Perez und Rabin käme — doch auch er gilt als Hardliner, der allerdings weniger profilierte Positionen vertritt als Rabin.

Nach Umfragen hat die Arbeitspartei nach dem Beginn der Nahostkonferenz in Madrid erheblich an Unterstützung verloren. Die Politik der rechten Regierungskoalition wird derzeit von 60 Prozent der Israelis befürwortet.

Scharon will mehr Geld

Der israelische Wohnungsbauminister Ariel Scharon hat damit gedroht, das Programm zur Errichtung von Wohnhäusern in Israel und den besetzten Gebieten zu stoppen, falls das Finanzministerium nicht mehr Mittel bereitstellt. Nach eigenem Bekunden protestiert er damit gegen den Versuch des Finanzministers, den „weiteren Ausbau von Groß-Jerusalem, Judäa, Samaria, Gaza-Streifen, Negev und in Galiläa und den Kibbuzim“ zu torpedieren. Der Finanzminister versuche damit, die US-Regierung zu beschwichtigen, die wiederholt erklärt hat, die israelische Siedlungspolitik sei ein Hindernis für den Nahost-Friedensprozeß. Das Finanzministerium hingegen wirft Scharon vor, sein Budget für 1990/ 91 weit überschritten zu haben.

Falls Scharon seine Drohungen wahrmacht — angekündigt hat er das für die nächste Woche, wenn Ministerpräsident Schamir aus den USA zurückkehrt —, wird der Bau an 70.000 Wohnungen gestoppt.