Das Ende des Mythos Vukovar

■ Einen Tag nach der Einnahme der ostkroatischen Stadt durch Bundestruppen sind gestern Vertreter des umkämpften Vukovars und der Armee zu Kapitulationsverhandlungen zusammen-gekommen. Die Angst vor serbischen...

Das Ende des Mythos Vukovar Einen Tag nach der Einnahme der ostkroatischen Stadt durch Bundestruppen sind gestern Vertreter des umkämpften Vukovars und der Armee zu Kapitulationsverhandlungen zusammengekommen. Die Angst vor serbischen Massakern geht um.

Wenn Vukovar fällt, muß Tudjman auch fallen“, erklärte Dobrislav Paraga, der Vorsitzende der ultranationalistischen „Partei des Rechts“ (HSP), gestern in Zagreb. Denn für die kroatischen Nationalisten ist jedes Zurückweichen vor dem Feind gleichbedeutend mit dem Verrat an der kroatischen Sache. Noch immer sind es die Anhänger seiner Partei, die den erbitterten Widerstand in der in Trümmern liegenden Stadt Vukovar aufrechterhalten. Von den Serben als „Ustaschen“ bezeichnet, sind sie es, die bei einer Kapitulation, fielen sie dabei in die Hände der serbischen Tschetniks, um ihr Leben fürchten müßten.

Zweifellos ist die Kritik an Präsident Tudjman in Kroatien gewachsen. „Die Regierungspartei HDZ und Tudjman selbst verhalten sich zu passiv“, bemängelte auch der Vizepräsident der HSP, Ivica Karamatic, schon vorige Woche gegenüber der taz. Die Ultranationalisten, die über 1.500 Mann einer eigenen Garde aus Freiwilligen, der „HOS“, verfügen und deren Anhänger und Sympatisanten zu den aktivsten Teilen in den kroatischen Streitkräften gehören, wollen am liebsten in eine großangelegte Gegenoffensive gehen. Als vor zehn Tagen einige Dörfer im slawonischen Pakrac zurückerobert wurden, waren ihre Kämpfer nach Angaben von Karamatic die treibende Kraft. Und auch jetzt ist es die HSP, die eine Gegenoffensive in Slawonien ankündigte. Es scheint, als wollten die Frontkommandeure der kroatischen Verteidigungskräfte mehr und mehr den Parolen der Ultranationalisten folgen. Denn nur so sind die Gerüchte zu erklären, die von einem Putsch gegen Tudjman ausgehen.

Paraga wies gestern solche Spekulationen zurück. Doch er stellte klar, daß sich Tudjman aus der Verteidigung Ostslawoniens raushalten sollte und daß er eine „Neuorganisation der Verteidigung“ organisieren wolle. Dem Präsidenten warf er vor, sich gegen die Entsendung von 1.200 Mann seiner Parteiarmee gestellt zu haben. Tatsächlich war Tudjman Ende letzter Woche für eine vollständige Integration der Freiwilligen der Partei des Rechts in die kroatische Armee eingetreten. Denn, um UN- Truppen nach Kroatien zu holen, dürfen die Privatarmeen nicht mehr selbständig operieren. Folgerichtig warf Paraga Tudjman vor, kapitulieren zu wollen.

Unter diesen Bedingungen sind die Verhandlungen über die Kapitulation der Stadt in die Sackgasse geraten. Angesichts der realen Gefahr, daß die serbischen Tschetnikkämpfer ein Massaker unter den verbliebenen 15.000 Zivilisten und den kroatischen Einheiten anrichten könnten, tritt die kroatische Regierung für eine internationale, vom Roten Kreuz überwachte, Kapitulation ein. Paraga erklärte jedoch, seine Anhänger würden eher einen Ausbruch versuchen, als sich zu ergeben. Dagegen fordert die Armee die bedingungslose Kapitulation der kroatischen Truppen, hat jedoch gegen internationale Beobachter nichts einzuwenden. Die serbischen Tschetniks sehen in der Stadt schon die Hauptstadt eines von „Kroaten befreiten“ autonomen Serbengebietes. Erich Rathfelder