Rassismus und Ästhetik

■ »Ich setz mich nicht mit Polacken« vom Theater zum westlichen Stadthirschen

Kaum zu glauben: Die BVG hat ihr Feingefühl für rassistische Untertöne entdeckt. Als unlängst die schlag-fertigen „Republikaner“ das Foto eines türkischen Mitbürgers zur entstellenden Diskriminierung aufbliesen, war soviel gute Scheu vor schlechten Mißverständnissen kaum zu spüren. Jetzt hingegen wurde das Plakat der »westlichen Stadthirschen« nicht zugelassen: Ich setz mich nicht mit Polacken heißt es da und hält den ironischen Impetus versteckt. Haben Vorurteile und Haßgefühle tatsächlich schon solche Kreise gezogen, daß sich die subtilen (An-)Schläge der Provokation nicht mehr vom dumpfen Holzhammer unterscheiden lassen und die Angst berechtigt ist, der fein angesetzte Bruch der Ironie könnte im täglichen U- Bahn-Getümmel abhanden kommen?

Werbetechnisch haben sich jedenfalls die Stadthirschen keinen Gefallen getan, indem sie eben jene Geisteshaltung plakatierten, gegen die sie in ihrer neuen Produktion mit Theatermitteln Stellung zu beziehen suchen. Zudem fragt sich, ob es nötig war, die Dramatisierung des 1965 erschienenen Romans von Johannes Bobrowski modernistisch umzutiteln und womöglich nur aus Attraktivitätsgründen den Titel Levins Mühle ins Kleingedruckte abzudrängen. Denn letztlich geht es in der Geschichte um den Versuch, nationalistischer Polarisierung und parolendurchtränkter Aggression auf die »historischen« Schliche zu kommen.

Bobrowskis Roman ist durchsetzt mit den Zweifeln des Erzählers, ob das, was es zu erzählen gilt, in die richtige Form zu bringen ist. Die Geschichte seines antisemitischen Großvaters spielt in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts an einem kleinen Nebenfluß der Weichsel — im westpreußischen Culmer Land und in einem Dorf, das überwiegend von Deutschen bewohnt wird. Doch wäre es falsch, daraus zu schließen, es ginge allein darum, im Rückgriff auf historisches Material den Nationalitätenstreit der Völker moralisch zu entscheiden. Wenn hier gleichwohl der deutsche Dünkel scharfer Satire anheimfällt, dann weil sich im Kontext der westpreußischen Völkervermischung zeigen läßt, wie das Wort »deutsch« dazu dient, wirtschaftliche und machtpolitische Bedürfnisse zu zementieren.

Die Geschichte beginnt bei den Stadthirschen ganz deutsch: ein Rechtsfall wird verhandelt. Der Richter sitzt auf einem einfachen Stuhl, dicht dabei die Wodkaflasche. Im Hintergrund die streitenden Parteien: ein gerade noch die Form wahrender Menschenhaufen, aus dem die Unmutsgesten ab und zu hervorbrechen; dann tritt einer vor, nimmt unterwürfig die Mütze vom Kopf und will sein Recht.

Er hat auch recht. Doch der, der unrecht hat und in einer fahrbaren Badewanne hoheitsvoll lässig thront, weiß das nationale Argument auf seiner Seite: Großvater Johann, ein kaiserergebener, treudeutscher Kleinunternehmer und Mühlenbesitzer, fühlt sich von der Konkurrenz durch den Juden Levin bedroht und hält es für sein »natürliches« Recht, eines Nachts die Schleusen zu öffnen und die Mühle des armen Juden restlos zu zerstören. Die christlich-deutsche Obrigkeit und der vehemente Protestantismus geben Schützenhilfe und stehen mit preußischer Starrhälsigkeit zusammen, wenn es darum geht, das als minderbemittelt eingeschätzte »Gesocks« aus Juden, Polen, Katholiken und Zigeunern in die Schranken zu weisen.

Die Inszenierung von Dieter Sudars gerät dann doch ganz zur stimmungsvollen Liebeserklärung an die östliche Mentalität, deren Sehnsuchtsbilder und anarchistische Schwerblütigkeit von den Schauspielern lustvoll ausgemalt werden. Preußischer Militarismus und großdeutsch gesinnter Protestantismus fallen dagegen der scharfen und humorvollen Satire anheim. Dabei wechseln die sechs Schauspieler beständig die Rollen, so daß nicht nur das Stimmungsbild einer zahlenmäßig unübersehbaren Dorfgemeinde entsteht, sondern auch der analytische Grundcharakter nicht zu kurz kommt: eindeutige Identifikationen sind nicht möglich. Mehr noch: Indem die Gegensätze von preußischem Deutschtum und jüdisch-polnischer Seele in einer Person lebendig werden, kommt auf ganz theatereigene Weise etwas von dem Humanismus zum Tragen, der dem Schaffenscredo Bobrowskis zugrundelag: »... das unglückliche und schuldhafte Verhältnis des deutschen Volks zu seinen östlichen Nachbarvölkern« dadurch zu »sühnen«, daß eine nationalistische Werteskala überhaupt vermieden wird.

Daß sich allerdings bei den westlichen Stadthirschen ästhetisches Feingefühl einmal mehr vor inhaltlich begründetes Engagement stellt, hat Dominik Bender in der Rolle des Großvaters auszubaden. Dessen Unbelehrbarkeit und rassistische Rede, in der auch der Titelspruch vorkommt, wird von dem viel zu jungen Schauspieler spröde unterspielt und mit allerlei privatem Tonfall ausgestattet und verwässert. So heftig sich aktualitätsbezogene Provokation auf dem Plakat nach vorne wagte, so sehr verschwindet sie im Spiel hinter der ästhetischen Fiktion. baal

Ich setz mich nicht mit Polacken, Theater zum westlichen Stadthirschen, Kreuzbergstraße 37-38, bis 22.12., do.-so., jeweils 20 Uhr