Spagat zwischen Betroffenheit und Wissenschaft

■ Diskussionsveranstaltung über »Krise und Rassismus« zeigte noch einmal das Problem der Fremdenfeindlichkeit auf, ohne jedoch Lösungen zu bieten/ Allgemeine Hilflosigkeit/ Hochschulprofessor Wippermann beklagte fehlende Rassismusforschung

Berlin. Eine Mischung aus Wissenschaftsarroganz und Hilflosigkeit gegenüber der zunehmenden Gewalt gegenüber Ausländern zeigte sich am vergangenen Dienstag auf einer Diskussionsveranstaltung »Krise und Rassismus«. Die Hochschule der Künste, der Deutsche Gewerkschaftsbund sowie der »Verein Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin« hatten zu der Debatte im Rahmen einer Veranstaltungsreihe mit dem Titel »Gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit« eingeladen.

Richard Stöss, Privatdozent am FU-Zentralinstitut für Soziologie unterschied Rassismus je nach der Einstellung und dem Verhalten von rechtsextremistischen Personen. »Beim letzteren handelt es sich um das Tun in politischer Praxis. Es gehe darum, Völker zu trennen«, erklärte Stöss. »Daraus entstehen Parolen wie ‘Deutschland den Deutschen‚.« Hinzu geselle sich eine weitverbreitete Fremdenfurcht, die in allen Ethnien vorkomme. Die Krise beginne, wenn soziale, politische oder ökonomische Bedingungen das Mißtrauen gegenüber Fremden in Gewalt gegen Ausländer umschlagen ließen.

Einen anderen Ansatz als Stöss verfolgte der FU-Historiker Wolfgang Wippermann. Er erklärte, daß alle Aussagen rassistisch seien, nach denen Menschen »differenziert« würden. »Der klassische Rassismus ist der der Andersfarbigkeit«, betonte er. Hinzu komme der völkische, soziale und religiöse Rassismus. Er mußte allerdings zugeben, daß auch er bei keiner dieser Formen wirkliche Lösungen anbieten könne. »Wir an der Uni haben versagt«, konstatierte Wippermann, zumal es an der FU weder Rassismus- noch Grundlagenforschung gebe.

Durch Verschleierungsideologien werde von den Problemen abgelenkt. So meinten etwa »Republikaner«-Wähler, daß es wegen der Ausländer zu wenige Wohnungen gebe. Die Parole »Ausländer raus« sei für sie eine Lösung, so Wippermann. »Nicht alle Rep-Wähler sind auch gleich fremdenfeindlich«, entgegnete Stöss. »Von ihnen sind zwar 40 Prozent rechtsextremistisch. Insgesamt wählen aber nur fünf Prozent die ‘Republikaner‚, 57 Prozent hingegen die CDU.«

Ein Mann aus dem Publikum merkte an, daß der heutige Rassismus seinen Ursprung in der Geschichte habe. »Wir müssen den historischen Hintergrund erst mal aufarbeiten«, meinte er. Stöss bekräftigte jedoch, daß rechtsextremistische Jugendliche ihre eigenen Probleme durch Hakenkreuz-Schmierereien zum Ausdruck brächten. »Ihnen ist nicht mit mehr Geschichtsunterricht geholfen«, behauptete er.

Eine Frau fragte, warum ausgerechnet Symbole aus dem Dritten Reich verwendet würden. Diskussionsleiter Axel Preuschoff tat die Frage lapidar ab, daß dies nach marktwirtschaftlichen Gesetzen, Angebot und Nachfrage, funktioniere und gab das Wort an die nächste Fragestellerin weiter. Ob denn auch Sexismus mit Rassismus zu tun habe? Dabei werde ebenfalls nach Wertigkeiten differenziert, und es entstünden Hierarchien, bestätigte der Historiker.

Gegen Ende der Veranstaltung stellte Diskussionsleiter Axel Preuschoff die Frage, wie die Zukunft aussehe, zumal eine neue Wanderungsbewegung aus dem Osten eingesetzt habe. »Ich glaube, da werden gezielt Ängste als Mittel der politischen Propaganda erzeugt«, sagte Stöss. Wippermann schloß sich dem Soziologen an. »Das ist doch Panikmache, durchsetzt mit rassistischen Gedanken.«

Die Veranstaltung endete mit einem kleinen Eklat. Ein Türke verließ den Raum, da er mit den Diskussionsbeiträgen nicht einverstanden war, seine Proteste aber von Axel Preuschoff abgekanzelt wurden. Daraufhin bedauerte Wippermann, daß er anfangs gesagt hatte, mit dem Begriff Betroffenheit nicht viel anfangen zu können. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß zum Beispiel der Tod des türkischen Jugendlichen Mete Eksi gar nicht zur Sprache gekommen war. Er stellte selbst fest, daß er einen »Spagat« zwischen persönlicher Betroffenheit und wissenschaftlichem Anspruch mache. Letztendlich aber müsse beides zusammengehören. Susanne Landwehr