„Ich war ja auf der ersten ,documenta‘“

■ Martin Kippenberger mit „Heavy Burschi“ im Kölnischen Kunstverein

Wer ein echter Star ist, der signiert sein Plakat gleich kniend auf dem kalten Fußboden. Drei Fotografen und das herbeieilende Fernsehteam danken es ihm. Die Pressekonferenz, gemütlich um einen Tisch gruppiert, nimmt er ganz alleine in die Hand: „Sie kennen mich ja sicher alle — aber wer sind Sie?“ Artig nennt jeder Kritiker Name und Publikation.

Kippenberger ist das Korrektiv des Kunstbetriebes, nicht jedoch dessen Sprengmeister. Als Korrektiv ist er notwendiger Bestandteil des Systems; so wie das Mundwasser zur Zahnfäule gehört, wobei man den Duft des einen natürlich dem Geruch des anderen vorzieht. „Nicht authentisch müssen Bilder sein, sondern taktisch richtig“, kommentiert Burkhard Riemschneider diese Arbeit. Kippenbergers Kölner Ausstellung Heavy Burschi zeigt noch bis zum 22. Dezember, wie verzwickt man dabei inzwischen vorgehen muß: 1989 trifft er in England einen Fan, der aus seinen Katalogen und Einladungen Collagen erstellt. Kippenberger lädt ihn ein, dies doch in seinem Auftrag und auf Leinwand zu machen. Der neugewonnene Assistent überzieht daraufhin eine Folge von 51 Leinwänden mit Sprüchen, Pop-Ikonen, Markennamen und Bildfetzen. Anschließend werden in weingummiartige Gießharzklumpen eingefaßte Zigaretten-Kippen auf die Leinwand geklebt. Da ihm das Resultat nicht gefällt — die Textur des Farbauftrags ist zu malerhaft und gewöhnlich, eben „zu gut“ —, läßt Kippenberger die Bilder kleinschlagen. Vorher jedoch wird jedes Bild abfotografiert. Im Kölnischen Kunstverein hängen — im originalen Maßstab abgezogen — die 51 gerahmten Reproduktionen der nunmehr zerstörten Ölgemälde. In einem Container mitten im Kunstverein sieht man noch ein paar demonstrativ weggeschmissene Überreste; und als Jahresgabe hat Kippenberger ein Ölbild in 25 Teile geschnitten und bis zu deren Verkauf wieder puzzleartig an die Wand geheftet. Zu guter Letzt gibt es noch den Katalog-Zyklus Heavy Mädel mit Zeichnungen, die von den Fotografien der Gemälde angefertigt wurden.

Die Ausstellung sei „mehr eine Retrospektive, ein collagierter Rückblick“ auf alte Bilder, und handele „über die Malerei“. Indem Kippenberger gegen scheinbar unsterbliche Positionen der klassischen Moderne wie Autorenschaft, Original oder Seriosität anrennt, drückt er seit Jahrzehnten geöffnete Türen ein: Er malt, fotografiert, zeichnet nicht selbst, sondern läßt produzieren: „Ich habe assistiert.“ (Unbeantwortet läßt er allerdings die Zwischenfrage, warum er denn seinen Maler nicht mitgebracht hat. Offensichtlich funktioniert die Produktionsgenossenschaft Kippenberger nur mit dem Chef an der Spitze, weil der die dafür besonders geeigneten Mitarbeiter herangezogen hat.) Er stellt nicht irgend etwas dar, sondern läßt eine Sammlung seiner Motive zusammenfassen. Es gibt nicht ein Original, sondern von jedem Bild zwei Abzüge. Die Bilder werden nicht sorgsam gepflegt und später restauriert, sondern zerschlagen. Er arbeitet nicht im Atelier, sondern plant am Kneipentisch. Die Frage nach dem verwendeten Fotomaterial könnte er nur durch einen Anruf beim Labor beantworten. Er gibt sich nicht grüblerisch oder provokativ, sondern kumpelhaft. Weniger die Arbeit, sondern die schlagfertigen Kommentare sind wichtig. Seinen Studenten in Frankfurt lehrt er weniger die Pinselführung, sondern wie man sich von Galeristen nicht übers Ohr hauen läßt.

„Ich war ja auf der ersten ,documenta‘ — da gibt's einen Film von, wie mein Opa mich im Kinderwagen durchgekarrt hat.“ Und noch in die Lacher hinein der Nachsatz: „Ich war ja noch nie auf der ,documenta‘.“ Kippenbergers großer Produktivität und seiner medialen Dauerpräsenz zum Trotz hatte er erst eine Einzelausstellung, und zur Teilnahme bei der „documenta“ wollte ihn auch noch keiner einladen. Obwohl im Kunstbetrieb sehr beliebt — seine Sprüche unterhalten noch das ödeste Galeristentreffen — ist er für Museen keine sichere Nummer. Zu schnell ändert er seine Taktiken, Medien, Stile.

Kippenberger sucht mit seiner „Konzept“-Kunst permanent nach neuen Gegenpositionen. Doch diese verbrauchen sich, sobald er sie etabliert hat. Er spielt mit oder vielmehr gegen kunsthistorische und marktspezifische Eigenheiten, ohne sie dabei letztendlich zu unterlaufen. Denn das geht wohl ohnehin nicht mehr — würde er vielleicht sagen. Systematisch setzt Kippenberger der bestehenden Kunst ein anderes Vorzeichen entgegen und benimmt sich höflich daneben. Auch wenn er so letztendlich ein Nullsummenspiel betreibt, bei dem sich zum Schluß Plus und Minus aufheben, bereiten Kippenbergers Korrekturen zumindest Laune. Er will polarisieren und klare Fronten schaffen, um falsche Freunde rasch auszusortieren.

Falsche Lorbeeren bekommt man schnell. Kippenberger, der aus einem gutbürgerlichen Dortmunder Elternhaus stammt, hat schon dort begriffen, wie Kunst und Gefallen zusammenhängen. „Meine Eltern haben uns fünf Kinder immer ins Folkwang-Museum, Essen, geführt. Mein Vater hat dort den Wettbewerb veranstaltet: Wir Kinder sollten das beste Bild im Museum aussuchen, und dem Gewinner würde er eine D- Mark geben. Natürlich haben wir immer genau das Bild ausgesucht, wovon wir dachten, daß es ihm gefiele, und nicht etwa das für uns selbst wichtigste Bild. Abgeleitet wurde der Tip von dem, was bei uns an der Wand hing. Vater wollte natürlich nur Bestätigung haben. Und bezahlt die eigenen Kinder auf dem Umweg Kunst auch noch dafür. So funktioniert das mit dem allgemeinen Kunstverständnis heute noch.“

Zur Wiederentdeckung Martin Kippenbergers für diejenigen, welche sich zwischenzeitlich haben abschrecken lassen durch dessen poltrige Bemerkungen, liegt beim Kölner Taschen-Verlag ein umfassender Katalog — Kippenberger, 160 Seiten, 29,95 DM — bereit. Darin auch Installationsfotos seiner Ausstellungen, Biographisches, zahlreiche Abbildungen, wenig Text. Zu dieser Ausgabe ist auch ein auf 50 Exemplare limitiertes und signiertes Objekt in der Form eines Aschenbechers (Kippenberger) herausgekommen. Lieblingsraum: „Brasilien heute“; Lieblingstitel: „Drei Häuser mit Schlitzen, 1985, Betty Ford Klinik, Stammheim, Jüdische Grundschule“, Lieblingsbilderzyklus: „Preisbilder 1.-17. Preis“, wobei auf unterschiedlichen Stoffmustern etwa steht: „2. Preis“. Jochen Becker