Vom Vorteil, Kubaner zu sein

■ Die USA wissen nicht so recht, wie ernst sie sich im Falle Haitis engagieren sollen

Vom Vorteil, Kubaner zu sein Die USA wissen nicht so recht, wie ernst sie sich im Falle Haitis engagieren sollen

Ein entscheidendes Kriterium fehlt den haitianischen Flüchtlingen, um vor den US-Behörden Gnade und Gehör zu finden: Sie werden nicht von Fidel Castro verfolgt. Hätte der kubanische Staatschef und Washingtons Hausfeind Nummer eins den haitianischen Präsidenten Jean Bertrand Aristide aus dem Amt gejagt, dann wären die „Boat people“ aus Haiti nach der berechenbaren Logik des US-Außenministerium keine Wirtschaftsmigranten, sondern politische Flüchtlinge. Kubanische Exilanten erhalten in den USA seit 25 Jahren unbesehen einen Sonderstatus, der ihnen faktisch das Aufenthaltsrecht ermöglicht. Flüchtlinge aus Haiti werden seit zehn Jahren von der Küstenwache abgefangen und zurückgeschickt — lange Jahre in die Arme des Diktators Jean-Claude Duvalier, jetzt in die der Putschisten, die Aristide gestürzt haben.

So unverhohlen wie die USA hat kaum ein anderes Land seine Flüchtlingspolitik der außenpolitischen Staatsräson untergeordnet. Jetzt wird das State Department erstmals mit internationaler und nationaler Kritik konfrontiert, die weit über das hinausgeht, was Bürgerrechtsgruppen und Flüchtlingsorganisationen bislang auszurichten vermochten. Da ist zunächst ein amerikanischer Bundesrichter, der den verantwortlichen Politikern im State Department eine juristische Ohrfeige verpaßt, indem er die Massenabschiebung vorerst stoppte. Außergewöhnlich lautstark hat sich auch die UN-Hochkommissarin für Flüchtlingsfragen zu Wort gemeldet und der Regierung in Washington eine Rüge erteilt, was angesichts der finanziellen Abhängigkeiten des UNHCR von den USA keineswegs selbstverständlich ist.

Auch eine zunehmende Zahl von Abgeordneten des US-Kongresses ist nicht mehr gewillt, der Bush-Administration die so offensichtliche Doppelmoral durchgehen zu lassen: Da attackierte Washington einerseits mit viel Gespür für humanitäre Rhetorik die britische Regierung für die zwangsweise „Rückführung“ vietnamesischer Flüchtlinge aus Hongkong und ordnete nun selbst eine Massenabschiebung an. Da wird einerseits die US- Botschaft in Port-au-Prince angewiesen, bei den Putschisten auf die Einhaltung der Menschenrechte zu drängen, andererseits werden Haitianer unbesehen als Wirtschaftsflüchtlinge abgestempelt — als gäbe es keine politischen Morde an den Anhängern Aristides. Und da beteiligt sich Washington im Rahmen der OAS einerseits an einem Embargo gegen die Putschisten, negiert aber durch die Abschiebung der Flüchtlinge jegliche politische Gefährdung dieser Menschen.

All dies zeugt nicht nur von Doppelmoral, sondern auch von der eigenen Ratlosigkeit, wie ernst man es mit der Wiedereinsetzung der demokratischen Regierung, also auch Aristides, in Haiti eigentlich meinen will. Es beweist zudem, daß auch Washington wie die meisten westeuropäischen Länder keine langfristige Konzeption für eine Flüchtlingspolitik hat. Andrea Böhm