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KOMMENTAREDer Lotse kehrt zurück

■ Eduard Schewardnadse tritt in die sowjetische Abwicklungsregierung ein

Das Staatsschiff sinkt, der Lotse kehrt an Bord zurück. Mit der Rückberufung Eduard Schewardnadses hat Gorbatschow ein für die Neubegründung gesamtstaatlicher Strukturen entscheidendes Manöver eingeleitet. Der alte und neue Außenminister ist wie kein anderer sowjetischer Politiker in der Lage, gleichzeitig international und im Innern die noch vorhandenen Ressourcen zugunsten der „Union souveräner Staaten“ zu mobilisieren.

Die „Bewegung für demokratische Reformen“, von Jakowlew und ihm angesichts der tödlichen Krise der KPdSU in diesem Sommer improvisiert, steht vor ihrer Umwandlung in eine funktionsfähige Massenpartei. Schon jetzt hat Schewardnadse genügend pragmatisches Geschick unter Beweis gestellt, um den drei Hauptlastern sowjetischer Demokraten — Prinzipialismus, Exhibitionismus und Unfähigkeit zur praktischen Arbeit — wirksam zu begegnen.

Mit ihm wird es keine Generalabrechnung geben. Als ehemaliger Provinzstatthalter der Partei und Protegé Breschnews kann er die Mitarbeit derer gewinnen, die im Apparat ihr Brot verdienten und auf bessere Zeiten hofften. Den radikalen Demokraten aber, die ihn stets als „alte Struktur“ zu denunzieren suchten, hat er durch Konsequenz und Klarsicht seit Dezember 1990 den Wind aus den Segeln genommen.

Schewardnadse ist, obwohl er sich gern so sieht, kein Mann großer Entwürfe. Er neigt zum abstrakten Moralisieren, aber von seinem Credo, den Weg zu einer neuen Gesellschaftsordnung in der Ex- Sowjetunion möglichst sanft zu gestalten, wird er in keiner noch so komplizierten Lage abweichen. Das ist sehr viel angesichts der Gewaltbereitschaft vieler großer und kleiner Potentaten im zerfallenen Imperium. Wie auf seine „Zivilität“ ist auch auf Schewardnadses Bekenntnis zum „neuen Denken“ in der Außenpolitik Verlaß. Ein Rückzug von der Linie globaler Konfliktlösungen, von der Orientierung auf Stärkung der UNO, von der Kooperation mit der Supermacht USA ist unter seiner Amtsführung undenkbar.

Schon vor dem Durchbruch der Perestroika hat er zusammen mit Gorbatschow das Postulat vom Vorrang der „Menschheitsinteressen“ vor den „Klasseninteressen“ entwickelt. Dieser großangelegte ideologische Revisionismus war Voraussetzung dafür, daß die Sowjetunion praktisch die Politik der internationalen Besitzstandswahrung begrub und — nicht weniger wichtig — einen Prozeß stabiler, kontrollierter Abrüstung ins Werk setzte.

Für die Architekten des Projekts damals vielleicht nicht voraussehbar, ist Stabilität jetzt zum herausragenden innenpolitischen Erfordernis weiterer Abrüstungsschritte geworden. Es ist Schewardnadse, dem Bush und die anderen westlichen Staatsleute noch am ehesten zutrauen, das atomare Potential der ehemaligen Sowjetunion unter Kontrolle zu halten. Er wird in den USA als Partner und als innenpolitischer Garant möglicher neuer Ab- und Umrüstungsverträge gesehen, ein Vertrauen, das Gorbatschow nicht mehr genießt, das aber der Zentrale zugute kommen wird.

Eduard Schewardnadse hätte abwarten können. Daß er den Job jetzt übernommen hat, ist nicht nur seinem ausgeprägten Pflichtgefühl zu danken. In der „Union souveräner Staaten“ steckt ein entwicklungsfähiges Potential. Das Vergnügen an je eigenen Uniformen und Banknoten wird kurzlebig sein — vorausgesetzt, das Zentrum bescheidet sich weiter mit Koordinierungsfunktionen und scheidet als universal verwendbarer Bösewicht aus. Dann kann die Einsicht ins Notwendige folgen: Finanzierung und Management von „Gemeinschaftsaufgaben“.

Das Amt des künftigen Unions-Präsidenten, für das Gorbatschow wenig Aussichten hat, wartet auf einen anerkannten Prätendenten. Wenn es nicht klappt, bleibt der Wechsel ins UNO-Generalsekretariat, die Wissenschaft oder der Alterssitz im geliebten, hoffentlich vom „Duce“ Gamsachurdia befreiten Georgien. Christian Semler

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