Die Kritik am humanitären Hilfsprogramm trifft die Falschen

■ Der UN-Beauftragte für humanitäre Fragen in der Golfregion, Aga Khan, versucht seit gestern in Bagdad eine Verlängerung der Hilfsprogramme zu erreichen

Seit Dienstag abend weilt der Sonderbeauftragte des UNO-Generalsekretärs für das humanitäre Programm in der Golfregion, Saddrudin Aga Khan, in Bagdad. Er soll dort mit dem irakischen Regime über die Verlängerung der zum Jahresende auslaufenden Vereinbarungen über diese Hilfsprogramme verhandeln. Außerdem wurde Aga Khan von westlichen Staaten gebeten, auf die Zustimmung Bagdads zu der vom UNO-Sicherheitsrat im September beschlossenen Regelung über einen begrenzten Verkauf irakischen Öls zu dringen. Von einem Teil des Erlöses sollen Nahrungsmittel und Medikamente für die notleidende Bevölkerung gekauft werden. Bereits seit geraumer Zeit — und wegen des absehbaren Wintereinbruchs im Nordirak in den letzten zwei Wochen noch verstärkt — wird an der Unzulänglichkeit der von Aga Khan im April in Bagdad ausgehandelten humanitären Programme sowie an deren Umsetzung durch das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) Kritik laut. Zum Teil gelten die Vorwürfe Aga Khan persönlich. Zu sehr habe er sich in letzter Zeit um den Posten als Nachfolger von UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar gekümmert und dabei seine Verantwortung als Sonderbeauftragter für die Golfregion vernachlässigt. In einem gestern in Genf bekanntgewordenen, noch internen Rechnungsprüfungsbericht der UNO über ihr Hilfsprogramm für die afghanischen Flüchtlinge werden fehlende Belege für mehrere Millionen Dollar ausgegebener Hilfsgelder angemahnt sowie unkorrekte Praktiken von UNOMitarbeitern vor Ort bemängelt. (Bis zu seiner Ernennung zum Sonderbeauftragen für die Golfregion war Aga Khan für dieses Afghanistan-Programm verantwortlich.)

In Genf wird damit gerechnet, daß das irakische Regime den UNO-Sonderbeauftragten erst noch mindestens zwei- oder dreimal nach Bagdad kommen läßt, bevor es — wenn überhaupt — irgendwelche Zugeständnise macht. Auf seinen jetzigen Wunsch nach einem Treffen mit Saddam Hussein erhielt Aga Khan wie auch schon bei vorhergehenden Bagdad-Reisen eine frostige Absage. Auch diesmal muß er sich mit Ex- Außenminister Tarik Aziz und dessen Nachfolger begnügen. Diese dürften ihm zunächst die Forderung nach Aufhebung oder zumindest Aufweichung des UNO-Embargos präsentieren.

Eine rechtzeitige Vereinbarung zur Fortsetzung der Hilfsprogramme über den 31. Dezember hinaus ist daher eher unwahrscheinlich. Die im Rahmen eines „Winterhilfsprogramms“ des UNHCR von Mitte September bis Ende Oktober gelieferten 30.000 Tonnen Hilfsgüter an rund 400.000 Menschen im Nordirak decken den Bedarf bei weitem nicht. Sie gingen zudem fast ausschließlich an zurückgekehrte Flüchtlinge und kommen den immer noch oder erneut auf der Flucht vor Saddams Truppen befindlichen Kurden kaum zugute.

Das UNHCR mit derzeit 130 MitarbeiterInnen in der Region ist Hauptträger des ersten, im April vereinbarten, Hilfsprogramms. Die vor allem von britischen Regierungspolitikern formulierte Kritik an der Umsetzung des Programms wird auch in anderen westlichen Geberländern, z.B. den USA oder der BRD, geteilt. Die harschen Äußerungen der letzten Tage von Londons Überseeministerin Lynda Chalker sind allerdings eher eine wahlkampfbedingte Reaktion auf die Kritik von Labour-Abgeordneten an einer angeblich unsachgemäßen Verwendung britischer Hilfsgelder. Bei einer internen Besprechung Ende letzter Woche in Genf wiederholte Chalker diese Vorwürfe denn auch nicht. Kritik an unsachgemäßer Mittelverwendung im Rahmen des Hilfsprogrammes wird in anderen westlichen Hauptstädten ebensowenig geteilt wie Londons Vorwurf, Aga Khan habe im April fahrlässigerweise lediglich den Bau von Übergangsbehausungen für kurdische Flüchtlinge, nicht aber von winterfesten Dauerunterkünften vereinbart. Das UNHCR weist entsprechende Kritik an seiner Arbeit im Nordirak mit Hinweis auf sein begrenztes Mandat zurück.

Die Hauptkritik an der derzeitigen Situation im Nordirak ist tatsächlich an die politisch Verantwortlichen in der UNO zu richten, das heißt vor allem an die Mitglieder des Sicherheitsrates. Sie gingen im Frühjahr mehrheitlich von einer Entspannung im Verhältnis zwischen Bagdad und den Kurden und einer Rückkehr der kurdischen Flüchtlinge in ihre angestammten Siedlungsgebiete im Laufe dieses Jahres aus. Entsprechend formulierte der Sicherheitsrat Mandat und Auftrag der humanitären Organisationen. Die US-amerikanischen, britischen und französischen Truppen, die den Schutz der Kurden in bestimmten Zonen gewährleistet hatten, wurden abgezogen. Die Entsendung von lediglich zur Selbstverteidigung bewaffneten UNO-Polizisten hatten nicht den erhofften Abschreckungseffekt auf Saddam Hussein. So spiegelt also ein Teil der Kritik an der Arbeit des UNHCR nur die unrealistischen Erwartungen wider. Andreas Zumach, Genf