Der Mann mit dem Veilchenblick kehrt zurück

■ Elf Monate nach seinem spektakulären Rücktritt holt Gorbatschow Schwewardnadse ins Außenamt zurück/ Kritik aus den Reihen der Demokraten

Nur bitter gelacht habe Eduard Schewardnadse, als ein Besucher der „Außenpolitischen Gesellschaft“ ihm in diesem Frühjahr zu dem Nobelpreis beglückwünschte, den soeben Michael Gorbatschow erhalten hatte. Dem Gratulanten bedeutete der ehemalige Außenminister im inneren Exil, eigentlich habe doch er den Preis für die internationale Friedenspolitik der UdSSR in den Perestroika-Jahren verdient.

In den kalten Monaten nach dem sowjetischen Einmarsch in Litauen streifte der „milde“ Blick aus veilchenblauen Augen, für den Schewardnadse unionsweit berühmt war, die privat zu ihm eilenden Pilger aus aller Welt meist mit einem unendlich müden und leicht verwundeten Ausdruck. Anfangs noch ohne jegliche technische Hilfsmittel, wirkte Eduard Ambrosiewitsch ausgebootet in seiner „außenpolitischen Gesellschaft“; in der geräumten Botschaft eines afrikanischen Landes — auch diesem hatte die sowjetische Regierung die Hilfsmittel gestrichen. Im Juli 1991 schließlich wurde Eduard Ambrosiewitsch durch Androhung eines demütigenden Disziplinarverfahrens aus der KPdSU gedrängt — im heimatlichen Georgien hatte ihn der Diktator Swiad Gamsachurdija schon längst in der Öffentlichkeit zum „Volksfeind“ und „Agenten des Kreml“ gestempelt, ein Verdikt, das den immer noch mit deutlichem Akzent russischsprechenden Weltbürger besonders kränkte. „Man sollte den Präsidenten der UdSSR und mich bei einer Visite in der Sowjetunion lieber nicht kurz nacheinander aufsuchen“, bat er damals einen ausländischen Gast: „Hier wird viel gemunkelt. Unsere „Bewegung demokratische Reformen“ solle nach der diskreditierten KPdSU eine neue soziale Basis für Gorbatschow schaffen. Aber — und hier folgte ein besonders verwundeter veilchenblauer Blick — dem ist nicht so“.

Eduard Schewardnadse reagierte auch in dieser Zeit taktisch, aber ohne Angst. „Seine Furchtlosigkeit war immer frappierend“, erinnert sich in diesen Tagen eine Bekannte, die ihn bereits als georgischen Innenminister und späteren Parteichef kannte. Sein Vorgehen gegen die kaukasische Politmafia brachte Schewardnadse damals wiederholt in Lebensgefahr. Ungeachtet mehrerer Anschläge blieb er trotzig in ein und demselben Haus wohnen. „Unter lauter Charaktermasken in der georgischen Führung überraschte er einen als lebendiger Mensch, wenn man als Bittstellerin sein Vorzimmer betrat“, erinnert sich die Frau. Und dann schildert sie noch einen weiteren Augenblick hervorragenden Mutes: „Einmal, nach einem Fußballspiel gegen eine Nachbarrepublik, randalierten die Tblissier Fans und zogen in blutrünstiger Stimmung gegen ihre Gegner los. Da stellte sich Eduard Ambrosiewitsch — in einer Zeit, in der sich die Bonzen dem Volk nur hinter Panzerglas zu präsentieren pflegten — einfach breitbeinig auf die Straße und brachte sie zur Räson. Niemand kam an ihm vorbei.“

Gewiß hat Eduard Schewardnadse im Laufe seiner langjährigen Karriere Schuld auf sich geladen, sein direkter Blick zeugt weniger von der Fähigkeit, die eigene moralische Integrität zu wahren, als von der Fähigkeit, sie wiederherzustellen — ein historisch ebenso seltenes wie aktuell in der Sowjetunion gefragtes Können. Es ist unmöglich, an dieses Politikers oft geäußerter ehrlicher Sorge um die Überlebenskraft der demokratischen Bewegung in Rußland zu zweifeln. Und doch machen ihm nicht wenige Moskauer heute den Vorwurf, die Volksbewegung, auf die sich die heutige russische Regierung in den letzten Jahren und auf die sich auch der Widerstand gegen den Putsch im August stützten, durch die von ihm und Alexander Jakowlew ins leben gerufene „Bewegung demokratische Reformen“ entscheidend gespalten und geschwächt zu haben. „Ich sehe die innenpolitische Rolle Alexander Jakowlews äußerst negativ“, äußerte kürzlich Igor Tschubais, ehemals Führer der oppositionellen „Demokratischen Plattform in der KPdSU“. Er hat uns praktisch den Wind aus den Segeln genommen, die Auflösung der KPdSU von innen auf diese Weise verhindert und leitet jetzt in der gemeinsamen Bewegung mit Schewardnadse die personellen Restbestände der korrumpierten Partei in ein respektierliches Fahrwasser.

Wer auch immer hinter Eduard Schewardnadse stehen mag und welche Motive ihn letztlich treiben — als lebendige Klammer zwischen den auseinanderstrebenden ehemaligen Unionsrepubliken, der Zentralregierung einer künftigen Union souveräner Staaten und dem Rest der Welt ist er heute unersetzlich. Wieder einmal kommt keiner an ihm vorbei — wohl auch nicht der „Revisor“, der in seinem neuem alten Ministerium bereits mit dem Rotstift das Regiment führte. Barbara Kerneck, Moskau