O Fridolin, erbarme dich unser!

■ Deutsche Erstaufführung: „Tulifant“, eine herzensgute Kinderoper von Gottfried von Einem, in BHV

Daß Gottfried von Einem sich mit seiner vor einem Jahr in Wien uraufgeführten Kinder-Oper ein Denkmal gesetzt hat, darf bezweifelt werden. Im „Tulifant“ kämpft der herzensgute Junge Fridolin (Minako Futori) drei kurze Akte lang gegen seinen bösen Stiefvater, den „Wüsterich“ (Jerom Padorr). Wüsterich, der den Fortschritt verkörpert, hat es mit der Natur schlimm getrieben. Die heißt Smaragda (Kathryn Dinoen) und ist eine häßliche alte Magd geworden. Sie verrät Fridolin, daß sein richtiger Vater — der Tulifant - vor über 400 Jahren gestorben sei. Eine sonderbare Oper. Das Bremerhavener Stadttheater brachte sie jetzt in deutscher Erstaufführung heraus.

Fridolin macht sich im zweiten Akt auf die Suche, trifft einen erkälteten und ständig niesenden Drachen (“Müff-Müff“, Andreas Macco) und eine reizende Zukunftsmaid (“Pelzchen“, Anno Eisenhauer), besteht Kälte und Feuer-Prüfungen und stößt endlich auf seinen Vater Tulifant (Thomas Mayr). Der wieder ist in Wirklichkeit Giordano Bruno, welcher in Kurzform eine Einführung in seine Philosophie gibt (“aus unendlich vielen Welten muß die eine Welt ich machen“) undsoweiter. Zusammengefaßt: Altkluger Junge rettet Mutter Erde, das ganze in artigsten, naiven Reimen (“die Welt muß man zählen und messen, sonst hat man sie nicht bemessen“).

Artig ist auch die Musik. Sie verrät den guten Handwerker, der alle traditionellen Wege noch einmal abgeht und dabei Zitat an Zitat reiht, ohne irgendetwas Neues zu machen. Da wird schön gesungen und schön gestrichen, gelegentlich heftig getrommelt und dissonant geblasen, aber nach einiger Zeit senkt sich doch Müdigkeit über das symbolträchtige Spiel.

Dabei hat das Bremerhavener Stadttheater einiges aufgeboten: ein opulentes Bühnenbild, ein gut gestimmtes Orchester (Leitung: Adrian Stein) und vor allem die besten SängerInnen am Haus. Die Bühne (Wolf Gross) zitiert gewitzt abstrakte Kunst — mit einem neonleuchtenden Rahmen, der die natürliche Guckkasten- Form ziemlich schräg versetzt. Der teuflische Wüsterich steckt in feuerrotem Knautschlack, und Smaragda darf gelegentlich ihr langes grünes Haar funkeln lassen. Minako Futori spielt, spricht und singt übrigens ihre Rolle wundervoll.

Warum es unbedingt ein Junge sein soll, der auszieht, die Welt zu retten, das konnten Gottfried von Einem und die Librettistin, seine Ehefrau Lotte Ingrisch, am Vortag vor der Presse nicht recht erklären. Lotte Ingisch sagte jedenfalls, warum es ein Kind sein muß: „Wir lieben die Erde, wir fühlen uns als ihre Gäste, nicht als ihre Besitzer. Unsere ganze Hoffnung liegt bei den Kindern und Jugendlichen. Vielleicht können sie sie erlösen, indem sie anders denken und handeln als wir.“

So wird aus der Botschaft einer philosophischen Floskel eine Oper, ein menschenfreundliches Weihespiel für Kinder. Hans Happel