„Es ist nicht dermaßen dramatisch“

■ Weservertiefung: Zwei Standpunkte im Interview / Ökologie contra Ökonomie

Die Außenweservertiefung ist zum zentralen Streitpunkt in den Ampelverhandlungen geworden. Die FDP verlangt ein klares Signal, daß der künftige Senat die Weservertiefung will, die Grünern wollen ihre Zustimmung von einer Umweltverträglichkeitsprüfung abhängig machen. Die taz fragte Hajo Weil, Sprecher der Bremer Lagerhausgesellschaft, nach der ökonomischen Notwendigkeit und den Gewässerökologen Michael Schirmer nach den ökologischen Folgen.

„Wir müssen optimal abfertigen“

Warum ist die Vertiefung wichtig?

Weil: Die großen Containerschiffe mit einem Tiefgang bis zu 14,50 m müssen tideunabhängig in den Hafen kommen. Geschieht das nicht, dann müssen Schiffe warten. Und bei Schiffen, die einen ganz genauen Fahrplan und heute 100.000 Mark Tageskosten haben, ist jede Stunde Geld. Wenn die nicht nach Bremerhaven kommen können und sich die Probleme potenzieren, die wir heute hin und wieder haben, dann wird die Investition in das neue Containerterminal entwertet.

Wenn die Schiffe um die ganze Welt fahren, warum spielen dann zwei Stunden Wartezeit auf die Flut eine Rolle?

Das ist ein Wettbewerbsgesichtspunkt. In Rotterdam müssen sie nicht warten. Und die Tendenz zu größeren, tieferabgeladenen Schiffen geht weiter. Wir als kleinerer Hafen haben nur das Argument optimaler Abfertigung.

Spielt es für die mittelfristigen Disposition der Reeder eine Rolle, welche Haltung der Bremer Senat zur Vertiefung hat?

Wir werben mit diesem Argument bereits heute, weil der alte Bremer Senat sich ja schon für eine Vertiefung der Unterweser ausgesprochen hatte. Ich darf darauf hinweisen, daß der Träger einer solchen Maßnahme der Bund ist. Die Stadtgemeinde muß nur gehört werden. Aber es ist natürlich so: Der Bund muß das in die Bundesverkehrswegeplanung aufnehmen. Und wenn aus Bremen das Signal kommt: –Die sind sich da selbst nicht einig,– dann sagen die sich: –Wunderbar, dann bauen wir noch ein paar Kilometer Autobahn in Thüringen.' Deswegen ist es entscheidend, daß wir Bremer uns einig sind.

Das Planfeststellungsverfahren läuft doch bereits.

Ja, und da ist die Umweltverträglichkeitsprüfung gesetzlich vorgeschriebener Bestandteil. Deshalb glauben wir, daß ökologischen Interessen in ausreichender Form genüge getan wird.

Die Umweltschützer argumentieren umgekehrt: Bevor wir nicht wissen, was die UVP bringt, ist das Signal: –Es wird vertieft– nicht verantwortbar.

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Aber es wird doch noch öffentlich ausgelegt. Und wenn der Bund für Umwelt und Natur sagt: –Das Ergebnis ist unbefriedigend– dann können sie dagegen klagen.

Welche Schäden hätte die Häfenwirtschaft, wenn es keine Vertiefung gibt?

Da bewegt man sich im Bereich der Spekulation. Aber langfristig entscheidet diese Frage über die Existenz der Häfen. Wenn in anderen Häfen alles wunderbar läuft und auf der Außenweser tut sich perspektivisch nichts, dann wird Bremen in seiner Bedeutung zurückfallen. Das ist sicher.

Für optimalen ökologischen Ausleich

Michael Schirmer ist Biologe an der Universität Bremen und ein ausgewiesener Gewässerökologe.

Was ist ökologisch problematisch an der Außenweservertiefung?

Michael Schirmer: Vor allen Dingen die Veränderung der Strömungsverhältnisse. Die Wassermassen verändern sich. Das führt zu höherer Strömungsgeschwindigkeit und damit zu immer mehr Materialtransport, zum Beispiel Sand. Damit hängt auch die Trübung des Wassers zusammen. Folge können veränderte Eigenschaften des Wassers sein.

Was sind die Folgen?

Das kann Auswirkungen für die Sediment-Transporte haben, die sich in Fahrrinne und dem danebenliegenden flacheren Wasserbereich, bis hin zum Watt bemerkbar machen können. Daraus resultieren veränderte Lebensbedingungen für planktische Organismen im Wasser.

Wäre die Vertiefung aus ökologischer Sicht tolerierbar?

Es gibt keine natürliche Grenze

für tolerierbar oder nicht. Das muß man sehen. Es ist immer eine willentliche Entscheidung des Menschen: –Wieweit will ich das Ökosystem noch herunterwirtschaften?– Es ist ja nicht so, daß ich hinterher eine Wüste habe. Hinterher wird auch dort fast das gleiche Leben sein wie vorher. Nur: Es ist ein weiterer Schritt in Richtung Veränderung für die Organismen, die dort leben. Und das ist in der Regel eine graduelle Verschlechterung, die teilweise schwer nachzuweisen ist, die aber mit Sicherheit eintritt.

Eine erste Umweltstudie soll herausgefunden haben, daß sich der Tidenhub nur um zwei bis vier Zentimeter ändert. Ist die Vertiefung dann das Problem, zu dem sie gemacht wird?

Ich denke, daß es nicht so sehr darauf ankommt, was sich an den mittleren Verhältnissen ändert, sondern besonders die Möglichkeiten für Extremereignisse müssen betrachtet werden. Und das ist interessanter, weil sich durch eine Vertiefung das Einlaufen von Sturmfluten erleichtern wird. Meine Spekulation ist, daß die Sturmflutspitzen und die dazugehörigen Strömungen nicht nur um zwei bis vier Zentimeter angehoben werden.

Das ist genau das, was durch die Weservertiefung immer wieder hervorgerufen worden ist. Mit jeder Vertiefung sind Ebbe und Flut und vor allem die Sturmflutereignisse verstärkt worden. Und diese Ereignise wirken erheblich auf das Ökosystem der Flußmündung ein.

Die zu erwartenden Veränderungen sind aber nicht mehr so gravierend wie das, was man mit den ersten Ausbaustufen schon kaputtgemacht hat. Vielleicht muß man es daran messen. Die Weser ist in den letzten 100 bis 120 Jahren so verändert worden, daß wir es mit einer Landschaft aus zweiter Hand zu tun haben. Das berechtigt uns sicher nicht, sie noch weiter herunterzuwirtschaften. Aber es relativiert die geplanten Eingriffe schon ein wenig. Es geht eigentlich darum, in dem hochgestreßten System nicht alles kaputtzumachen. Je weiter man an die Grenzen des Machbaren kommt, um so wichtiger wird der Ersatz. Da wird man sehr viel Mühe, Arbeit und Geld darauf verwenden müssen. Die Vertiefung ist aber nicht dermaßen dramatisch, daß man sie grundsätzlich ablehnen muß.

Ein klassischer Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie. Können Sie die Argumente der Häfenwirtschaft nachvollziehen?

Wir haben da natürlich Vorbehalte. Die ökonomischen Argumente sind für uns immer schwer nachzuvollziehen. Da gibt es in anderen Fällen so viele Beispiele von versprochenen Arbeitsplätzen, wo dann nur 10 Prozent gekommen sind und die Betriebe auf Dauer subventioniert werden mußten. Wobei ich persönlich in diesem Fall dahin tendiere, die ökonomischen Argumente zu akzeptieren. Hier ist es für mich etwas offensichtlicher. Aber für den ökonomischen Gewinn müssen wir vielfältige, nachhaltige Ersatzleistungen einplanen.

Was könnte das sein? Die Luneplate, die bislang als Gewerbefläche vorgehalten wird?

Beim erweiterten Containerterminal in Bremerhaven gehen einmalige, sehr seltene Brachwasserwattflächen verloren. Es wäre denkbar, diese Verluste dadurch auszugleihen daß verleichbare Strukturen an anderer Stelle wiederhergestellt werden. Die Luneplate war ursprünglich eine isolierte Insel in der Wesermündung. Solche Zonen, wo das Wasser zur Ruhe kommt, könnte man im Bereich der Luneplate machen. Das wäre ein angemessener Ausgleich. Dort, wo die alte Lune durchläuft, müßten Ebbe und Flut hinein. Das müßte man wieder an die Weser anhängen. Alternativ könnte man den Winterdeich zurücklegen. Dann könnten Ebbe und Flut da wieder drüberlaufen. Und man hätte den Gewinn, daß bei Sturmfluten dort Wasser zwischengespeichert werden kann. Interviews: hbk