Hilfe für mißbrauchte Ostfrauen

■ Erstes Frauenprojekt von »Wildwasser« und »Stoffbruch« im Ostteil der Stadt soll sich mit sexuellem Mißbrauch und Sucht befassen/ Finanzierung noch ungeklärt

Mitte. Während sexueller Mißbrauch in West-Berlin bereits seit einigen Jahren diskutiert wird, wurde er in der DDR totgeschwiegen. Erst nach dem Mauerfall wurde öffentlich, daß Mißbrauch und Vergewaltigung auch in der sozialistischen Familie an der Tagesordnung waren. Nun soll im Ostteil die erste Beratungsstelle für Frauen errichtet werden. In einer ehemaligen Fabriketage in der Dircksenstraße wollen »Wildwasser e.V.« und das Frauen- Suchtprojekt »Stoffbruch« sexuellem Mißbrauch und Sucht begegnen.

Auf 600 Quadratmetern soll Mädchen und Frauen eine Anlaufstelle mit Beratung sowie Nachsorgetherapie und Gruppenarbeit geboten werden. Geplant sind außerdem ein alkohol- und drogenfreies Café sowie ein Betriebskindergarten. Im Moment sind die Räume allerdings noch in einem desolaten Zustand. Bislang hat die Jugendverwaltung erst 50.000 Mark für Miete und Sachmittel zugesagt. Auch die beantragten 31 ABM- Stellen sind bisher nur teilweise bewilligt. Ein großer Teil der Renovierung muß in jedem Fall aus Spendengeldern aufgebracht werden.

Die künftigen Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen in dem Projekt sollen alle aus dem Ostteil kommen. »Es gibt dort spezielle Probleme. Deshalb sollen die Beratenden die gleiche Sprache sprechen wie die Hilfesuchenden«, erklärt eine Wildwasser-Mitarbeiterin. über den Bedarf für eine derartige Anlaufstelle im Ostteil sind sich die Frauen sicher. »Wir werden immer wieder angesprochen«, erzählt Ulrike Kreyssig vom Verein für suchtmittelabhängige Frauen, dem Träger von Stoffbruch. »Die Frauenprojekte sind völlig überfordert.« Mit der wachsenden Verunsicherung in den Familien seit dem gesellschaftlichen Umbruch nehme sowohl die Gewaltbereitschaft als auch der Griff zu Suchtmitteln zu.

Auch wenn der Gebrauch illegaler Drogen im Ostteil immer noch selten sei, so Kreyssig, sei Drogenberatung dringend erforderlich. »Wir müssen nicht nur präventiv wirken, sondern auch mit der verbreiteten Alkohol- und Tablettensucht sowie mit Eßstörungen arbeiten.« Bereits seit Jahren besteht in Therapiekreisen kein Zweifel mehr über den Zusammenhang von sexuellem Mißbrauch und Sucht — bis zu 80 Prozent aller sexuell mißbrauchten Mädchen greifen früher oder später zu Drogen unterschiedlicher Art. Viele bewältigen so das Erlebte — Drogen als Lebensstrategie, um die Vergangenheit wegzudrücken, zu verdrängen oder um »sich selbst wieder spürbar zu machen«. »Viele Frauen, die jahrelang mißbraucht wurden, und das auch noch vom Vater oder Onkel, können nur noch mit Suchtmitteln ihre Erfahrungen verdrängen und weiterbestehen«, erzählt eine Stoffbruch-Mitarbeiterin.

Das Frauenrojekt in Mitte hat sich eine große Zielgruppe gesteckt: sexuell mißbrauchte Mädchen und Frauen, Suchtgefährdete und Süchtige, die bereits den Entzug hinter sich haben, Frauen mit Eßstörungen, Frauen von süchtigen Partnern sowie HIV-Positive. Aber natürlich reicht das Projekt nicht aus, um den gesamten Beratungs- und Therapiebedarf im Ostteil zu decken; zumal zu DDR- Zeiten Sucht überwiegend psychiatrisiert und medizinisch behandelt wurde. Jeannette Goddar

Das Gelingen des Projekts ist auch von Spenden abhängig: Wildwasser, Bank für Sozialwirtschaft, BLZ 10020500, Kto: 3036403 oder Verein zur Hilfe suchtmittelabhängiger Frauen, Bank für Sozialwirtschaft, Kto: 3112500.