Soziale Verantwortung durch gerechte Entlohnung

■ Das bayrische Verfassungsgericht soll die Verfassungswidrigkeit der Paragraphen 37 ff. und 200 des StVollzg feststellen./ Auszüge aus der Klagebegründung

Der Artikel 123 der bayrischen Verfassung bestimmt:

„Alle sind im Verhältnis ihres Einkommens und Vermögens und unter Berücksichtigung ihrer Unterhaltspflicht zu den öffentlichen Lasten heranzuziehen.“

Diese Grundpflicht im Sinne der bayrischen Verfassung gilt demzufolge also auch für Gefangene, so daß die Legislative wie auch die Exekutive dazu verpflichtet sind, ihnen dieses zu ermöglichen. Der Artikel 151 der bayr. Verfassung bestimmt:

„Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten. Innerhalb dieser Zwecke gilt die Vertragsfreiheit nach Maßgabe der Gesetze. Die Freiheit der Entwicklung persönlicher Entschlußkraft und die Freiheit der selbstständigen Betätigung des einzelnen in der Wirtschaft wird grundsätzlich anerkannt. Die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen findet ihre Grenze in der Rücksicht auf den Nächsten und auf die sittliche Forderung des Gemeinwohls. Gemeinschädliche und unsittliche Rechtsgeschäfte, insbesondere alle wirtschaftlichen Ausbeutungsverträge sind rechtswidrig und nichtig.“

Die Paragraphen 37 ff. regeln die Arbeitspflicht von Gefangenen, der § 200 legt die Entlohnung auf fünf Prozent der gesellschaftlichen Durchschnittlöhne für vergleichbare Arbeit fest. Diese Regelungen sind verfassungswidrig, da die Gefangenen dadurch daran gehindert werden, Unterhalt im Sinne des Artikels 123 der Bayrischen Verfassung zu entrichten bzw. einen durch die Straftat entstandenen Schaden wiedergutzumachen.

In der derzeit bestehenden Praxis stellen die Arbeitsverträge, die die bayrische Justiz, vertreten durch die Arbeitsverwaltungen der einzelnen JVAs mit Unternehmen der freien Wirtschaft abschließt, unsittliche Rechtsgeschäfte im Sinne des Artikels 151 der bayerischen Verfassung dar, die sowohl dem Gemeinwohl wie auch dem menschlichen Dasein des einzelnen Gefangenen Schaden zufügen.

In dem Handbuch der bayrischen Justiz mit dem Titel „Justiz in Bayern“ vom Januar 1987 wird festgestellt, daß die bayerischen JVAs 1986 durch Gefangenenarbeit 66 Mio. Mark erwirtschafteten. Bei einer Belegungsfähigkeit von 10.975 (+ 620 Krankenplätze) waren 1986 9.500 Gefangene inhaftiert. Würde man von dieser Gesamtbelegzahl etwa ein Drittel an Gefangenen abziehen, die man zu den aus den verschiedensten Gründen nicht in einer Arbeitsbeschäftigung stehenden Gefangenen zählen könnte, so ergibt sich bei der Zugrundelegung von 6.000 arbeitenden Gefangenen folgende Rechnung:

Bei einem Brutto-Stundenlohn von angenommenen 16 Mark, einer 32-Stunden-Woche und einem 4-Wochen-Monat ergibt sich ein Brutto-Monatslohn von 2.048 Mark.

Der Verpflegungssatz pro Gefangenem beträgt derzeit ca. 5,30 DM. Folgende Rechnung wird nun aufzeigen, daß es wirtschaftlicher und effizienter ist, Gefangenen ihren tatsächlichen Arbeitslohn zuzuführen und Haftkosten zu erheben:

10 DM täglich für die Beanspruchung eines von der Anstalt angebotenen Tagesmenüs. Dieser Satz liegt weit über dem derzeitigen Verpflegungssatz, so daß die Anstalt arbeitsangemessene Nahrung zur Verfügung stellen kann.

15 DM wöchentlich für die Reinigung der Leib-, Arbeits- und Privatbekleidung. Dieser Satz ist deswegen als ausreichend anzusehen, da selbst in der freien Gesellschaft in Waschsalons, die auf kommerziellen Gewinn ausgerichtet sind, für 15 DM wöchentlich zwei Waschmaschinenladungen mit je fünf Kilogramm Füllgewicht nebst Schleuder und Wäschetrockner zu benutzen sind.

20 DM täglich für die Zurverfügungstellung eines Haftraumes, nebst anfallenden Kosten wie Strom, heißem Wasser, Abfallentsorgung und Instanthaltung.

Demnach würde sich ein monatlicher Haftkostenbeitrag von 990 Mark ergeben. Bei angenommenen 6.000 arbeitenden Gefangenen würde sich daraus eine Monatseinnahme von 5,9 Mio Mark und eine Jahreseinnahme von 71,3 Mio. Mark ergeben. Gegenüber den 66 Mio. Mark Einnahmen aus Arbeitszuweisungen in der bestehenden Form hätte die bayrische Justiz demzufolge Zusatzeinnahmen von 5,3 Mio. Mark, die dem Haushaltsplan für den bayerischen Strafvollzug und somit dem Gemeinwohl des Steuerzahler zugute kämen.

Wenn ein Gefangener monatlich 2.048 Mark verdienen würde, wäre es ihm möglich, nicht nur die Haftkosten, sondern auch Steuern zu entrichten. Trotzdem bliebe ihm dabei noch ein Betrag, mit dem er Zusatzartikel des täglichen Bedarf erwerben und Schulden abtragen bzw. Unterhalts leisten könnte.

Hierdurch unberührt blieben zwar die Kosten, die für Gefangene anfallen, die nicht in Arbeit stehen. Aber diese Kosten müssen in der bestehenden Weise auch so getragen werden, wohingegen der Anreiz, eigenes Geld verdienen zu können, mit Sicherheit etliche Gefangene dazu bewegen wird, dafür auf ein Taschengeld durch die Anstalt zu verzichten.

Die Argumente, daß eine Vielzahl der Gefangenen Arbeiten für das Haus versehen und somit nicht den Selbstverdienern zuzurechnen sind, sind unsubstantiiert, denn hausspezifische Arbeiten wie Wäschewaschen, Flurputz und dergleichen können auch von selbstverdienenden Gefangenen mit durchgeführt werden, wie es in der freien Gesellschaft in Wohnkollektiven auch üblich ist.

Es widerspricht dem Vollzugsziel, daß Gefangene in allen Bereichen des Strafvollzugs Eigenverantwortung entzogen wird, indem sie ihr Essen vorgesetzt kriegen, die Wäsche fein sortiert und gemangelt zurückerhalten, also ohne eine eigene Haushaltsführung bewältigen zu müssen.

Die Erziehung zur Unselbstständigkeit und zu bloßen Verrichten von Arbeitsgängen für minimalen Gewinn, die Verweigerung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung programmiert einen Rückfall voraus und führt zum erneuten Versagen in der freien Gesellschaft.

Es ist daher gesetzes- und sittenwidrig, Gefangenen die Verfügung über den Arbeitsverdienst zu verweigern, mit der Begründung, daß dadurch die Landeshaushalte zu sehr beansprucht würden. Genau das Gegenteil ist der Fall.

In der bestehenden Form des Strafvollzuges mit der Verpflichtung zur Zwangsarbeit wird der Landeshaushalt unbotmäßig belastet, da es die einzelnen Anstalten so nicht nötig haben, in angebrachter Weise kalkulieren und wirtschaften zu müssen.

Die Kalkulationen der Wirtschaftsverwaltung in den bayerischen JVAs bestehen unter andrem darin, festzustellen wieviel Toilettenpapier ein Gefangener im Durchschnitt zu verbrauchen hat, und dementsprechende Verfügungen zu erlassen. Daß es aber wirtschaftlicher wäre, wenn beispielsweise die selbstverdienenden Gefangenen das Toilettenpaier bei der Anstalt kaufen, wird geflissentlich übersehen, weil dadurch nämlich die Kontrollmöglichkeit über die Haushaltsführung der jeweiligen JVA gegeben wäre. Denn wenn durch eine offizielle Bestellung des Gefangenen XY „aktenkundig“ würde, daß er tatsächlich monatlich zwei Rollen Toilettenpapier benötigt, dann ist die Wirtschaftsverwaltung an diese tatsächlichen Ausgaben in Form von Einnahmen gebunden und das Toilettenpapier kann nicht in irgendwelchen anderen Toiletten verschwinden. Außerdem würde der Gefangene gerade dadurch, daß er sich das Toilettenpaier selbst kaufen muß, zu einem verantwortlichen Denken und Handeln animiert.

Ein solches Erlernen von sozialer Verantwortung ist ganz einfach nicht möglich, wenn Gefangene mitbekommen, daß beispielsweise Bedienstete der JVA Straubing bei der anstaltseigenen Bäckerei Waren einkaufen können, die unter dem Kaufpreis der freien Wirtschaft liegen.

Beispielsweise zahlten Beamte im Jahr 1990 für eine in der Anstaltsbäckerei gefertigte „Schwarzwälder Kirschtorte“ einen Betrag von 19,95 Mark, wohingegen die gleiche Torte in der freien Wirtschaft 29,90 Mark gekostet hätte. Das ist nämlich auch der Preis, den der Kaufmann in der hiesigen Anstalt gegenüber den Gefangenen für eine solche Torte berechnet. Weiterhin zahlen die Justizvollzugsbediensteten für eine Semmel, die in der freien Wirtschaft 25 Pfennige kostet, in der Anstalt 19 Pfennige.

So können die JVA-Bediensteten die in der Anstalt, im Regelfall durch Gefangenenarbeit erzeugten Güter kostengünstiger erwerben, als dies Normalbürgern möglich ist. Strafgefangenen jedoch wird untersagt, Güter der eigenen Arbeit preisgünstig zu erwerben, dafür ist nach Angaben der Verantwortlichen der Verwaltungsaufwand zu groß.

So könnte der Verdacht aufkommen, daß letztendlich Gefangene nur dafür da sind, um den status quo aufrecht zu erhalten, daß ihre Arbeitskraft ausschließlich dazu benutzt wird, um inoffizielle Vergünstigungen für die Beamtenschaft und Profit für Wirtschaftsbetriebe zu ermöglichen.

Neben meinen obigen Anträgen und Ausführungen zu den bestehenden Vollzugspraktiken im Sinne der §§ 37 ff. StVollzg. Greift zudem die Rüge der Vorteilnahme durch die Bediensteten der bayerischen JVAs, da diese begünstigend in den Genuß der Arbeitskraft von Gefangenen kommen.

Die §§ 37 ff. StVollgz. In Verbindung mit dem § 200 StVollgz. Sind daher verfassungswidrig. T. B., JVA Straubing