PRESS-SCHLAG
: Schafft Länderspiele ab!

Das Fußball-Länderspiel in Wales wurde einmal mehr zum Ort nationalistischer Auseinandersetzungen  ■ Aus Brüssel Chr. Biermann

Der Herr in Grün war genervt. Jetzt stand er mit seinen Kollegen nachts um eins auf der Autobahn, fror bitterlich und hatte ein Organisationsproblem: „In den Bus kann ich keine vier Mann stellen, das gibt Probleme“, grummelte er ins Funkgerät und beantwortete erst dann die Frage: „Was los ist? Es war Länderspiel. Diese Männer haben uns gebeten, daß wir sie zum Hauptbahnhof nach Aachen bringen.“ Dann kletterte er wieder in seinen Polizeiwagen, während der Grund seiner Sorgen über den Parkplatz am Grenzbübergang Aachen-Lichtenbusch stromerte. Drei Busladungen mit deutschen Hooligans, die in Brüssel von der belgischen Polizei verhaftet worden waren.

Diese noch eher komische Szene war der passende Abschluß eines Spiels, bei dem sich das Geschehen auf dem Rasen kaum richtig in den Vordergrund zu spielen vermochte. Zu aufdringlich waren die Widersprüche drumherum. Über tausend Beamte hatte die belgische Polizei zum Länderspiel in Brüssel eingesetzt. Besonders massiv war ihre Präsenz um das Stadion Vanden-Stock in Anderlecht. Wasserwerfer, gepanzerte Fahrzeuge, martialisch bewaffnete Kampftruppen mit Helm und Schild, berittene Polizei in allen Straßen und keine 50 Meter ohne eine erneute Kartenkontrolle.

Das Stadion war zur Festung geworden und hatte drinnen sogar einen Kerker. Dort waren die Stehplatzbesucher untergebracht, hinter doppelter Umzäunung mit messerscharfer Drahtkrone. Während die Zuschauer dort wie Pöbel behandelt wurden und sich auch entsprechend benahmen, hatten die Herrschaften in der Ausgehgarderobe gerade ihr Abendbrot beendet und nahmen in den Logen hinter Glas Platz. Jenseits der Kälte und Regenböen eines unangenehmen Herbstabends.

„Das ganze Leben ist ein Quiz“, sangen derweil in freundlichen Momenten die auf den billigen Plätzen. Um bei Bedarf in ein drohend lautstarkes „Wir sind deutsch, wir sind deutsch“ umzuschlagen. Die wunderbar absurde Idee, Anhänger eines Fußballvereins zu sein, gewinnt bei der Unterstützung der Nationalmannschaft eine unappetitliche inhaltliche Substanz. Ein „Hurra, Hurra, die Hamburger sind da“ klingt aus der Gästekurve in Köln eben ganz anders als das „Hurra, Hurra, die Deutschen, die sind da“ hinter den Hügeln von Flandern.

„Dazu kann ich nichts sagen, wir haben uns ganz auf das Spiel konzentriert“, erklärte der Bundestrainer hinterher, als er zum Verhalten der deutschen Fans gefragt wurde. Eine noch verständliche Reaktion des Fußball-Lehrers. Aber vielleicht werden sich Berti Vogts und der DFB demnächst mehr Sorgen um die mitreisenden Fans als um die Aufstellung machen müssen: Die drei Busladungen am Grenzübergang waren nämlich nur ein Teil der Fans, die von der belgischen Polizei verhaftet oder in Gewahrsam genommen wurden. Insgesamt waren es fast 500. Selbst wenn man von dieser sehr hohen Zahl noch die Pechvögel abzieht, die Opfer des „energischen Eingreifens“ der Polizei wurden, bestätigt sich damit doch die Entwicklung der letzten Monate.

Die Fußball-Krawalle werden internationaler, und die deutschen Fans gehören zu den Hauptprotagonisten der Entwicklung. Stück für Stück geht die Rolle der Fußball-Buhmänner von England nach Deutschland über. Da helfen auch keine windelweichen Aktionen wie das Verteilen von „Fair geht vor“- Fähnchen, bei Länderspielen oder „Wir sind die Fans“-Fernsehspots. Der DFB wird sich nach diesem Spiel noch weiter in die Ecke gedrängt sehen. Die Nachfragen des Europäischen Fußball-Verbandes und der Politiker werden noch deutlicher ausfallen: Was tut ihr eigentlich dagegen? Die am nächsten liegende Idee wird aber gar nicht erst erwähnt: die Länderspiele einfach abschaffen. Wer braucht diese seltsame Werbeveranstaltung für das Konzept des Nationalismus eigentlich noch? Wer braucht eine deutsche Mannschaft? Wer will Deutschland siegen sehen? Wer will die Jungs für Deutschland kämpfen lassen? Für das endlich ganze Deutschland. Aber auch für die Grand Nation, England oder Island.

Keine deutsche Mannschaft bedeutet kein Deutschland-Mob. Und einige afrikanische Straßenhändler in Brüssel würden sich auch heute noch besserer Gesundheit erfreuen. Der Verlust wäre gering: Einige gute Fußballspiele und die leuchtenden Augen von Thomas Doll. Sie allein gaben dem Spiel in Brüssel einen freundlichen Zug. Wie er davon erzählte, daß er so gut in der Mannschaft aufgenommen worden sei — „als Ossi, sag ich jetzt mal“ — und daß der Lothar und der Rudi doch prima Kerle wären, da klang das eher wie der Bericht eines Fans, der seinen Star getroffen hatte. Doch dann eilte er zum Bus, und irgendwo jaulte wieder eine Sirene.