Israels Grenzschutz klaut Grundbuch

Grenzpolizisten überfielen das Scharia-Gericht in Ost-Jerusalem/ Palästinensischer Proteststreik  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Ein Einbruch der israelischen Grenzpolizei in die Räume des Ostjerusalemer (islamischen) Scharia-Gerichts hat am Dienstag zu einem Proteststreik der Palästinenser und zu einem für die israelischen Behörden peinlichen Nachspiel geführt. Am Montag waren Mitglieder des zur israelischen Polizei gehörigen „Grenzschutzes“ in das Gebäude des islamischen Gerichts in der Salah-ad-Dien Straße eingedrungen, hatten die Büros durchsucht und schließlich kistenweise Akten weggeschleppt. Der Sprecher des „Obersten Islamischen Rates“, Mohammad Nusseibeh, gab für die Richter des religiösen Gerichts eine Protesterklärung ab und rief zum Streik auf. Nach einer Pressekonferenz mit Richtern des islamischen Gerichts fand eine Demonstration in Richtung zur Al- Aqsa-Moschee statt.

Ein Teil der entwendeten Dokumente ist über fünfhundert Jahre alt; sie betreffen Familienangelegenheiten und soziale Fragen — vor allem aber das Politikum in den besetzten Gebieten und im annektierten Ost- Jerusalem: palästinensisches Eigentum an Grund und Boden. Unter anderem nahm die Grenzpolizei ein Grundbuch mit, aus dem die Besitzverhältnisse in Ost-Jerusalem hervorgehen. Zum Thema Grundbesitz wurden weiterhin ungefähr 150 Akten mitgenommen, die das Grundeigentum von Juden, Christen und Moslems in Ost-Jerusalem dokumentieren, außerdem von sogenannten „abwesenden Personen“; so bezeichnen die israelischen Behörden Palästinenser, die 1948 oder 1967 vertrieben wurden und über deren Land der israelische Staat seither ähnlich wie über öffentliches Eigentum verfügt.

Der Sprecher des „Obersten Islamischen Rates“, Mohammad Nusseibeh, wandte sich an den israelischen Präsidenten, um auf den Vorfall aufmerksam zu machen. Polizei und Geheimdienste hätten einen Teil der Büros zerstört. Sie seien nach Dienstschluß in die geschlossenen Büroräume eingedrungen. Der „Islamische Rat“ ließ erklären, islamische Institutionen und historische Dokumente seien unter den gegenwärtigen Umständen nicht mehr sicher. „Weder Leben noch Eigentum sind hier geschützt.“ Der Rat fordert internationalen Schutz für seine Einrichtungen und die unverzügliche Rückgabe der gestohlenen Dokumente.

Der Jerusalemer Polizeikommandant hat sich nach dem Einbruch offiziell beim Scharia-Gericht entschuldigt, und Bürgermeister Kollek sprach sein Bedauern aus. Die israelische Polizei führte zu ihrer Entlastung an, es sei Gefahr in Verzug gewesen: Ihr hätten Informationen vorgelegen, denen zufolge „Leute im Haus subversive, feindliche Aktionen planen“. Hohe Polizeioffiziere erklärten später, „die Aktion hätte mehr Takt erfordert“. Sie sei aber gerechtfertigt, weil ein bewaffneter Anschlag in dem Haus geplant worden sei. Angeblich hatten weder die Verwaltung noch gerichtliche Instanzen vorher Kenntnis von dem Plan erhalten.