: Hungerstreik in Asylunterkunft
■ Hungerstreik von AsylbewerberInnen in Schwalbach/ Sie wollen nicht zurück nach Ostdeutschland
Frankfurt/Main (taz) — Noch dreißig politische Flüchtlinge haben gestern in der hessischen Gemeinschaftsunterkunft in Schwalbach (HGU) den am Dienstag von siebzig Menschen begonnenen Hungerstreik fortgesetzt. Die AsylbewerberInnen, die aus den neuen Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wegen der Überfälle neonazistischer Gewalttäter zurück nach Hessen geflüchtet waren, wollen mit dem Hungerstreik ein dauerhaftes Bleiberecht erzwingen. Sie berufen sich auf einen Erlaß der hessischen Sozialministerin Iris Blaul (die Grünen), der AsylbewerberInnen, die im Osten nachweislich Übergriffen ausgesetzt waren, ein solches Bleiberecht zusichert.
Bereits am Dienstag hatte die Staatssekretärin im Sozialministerium, Brigitte Sellach (die Grünen), den Flüchtlingen, die aus Sachsen und Thüringen zurück nach Hessen geflohen waren, das Bleiberecht zugesichert. Daraufhin brach die Hälfte der Hungerstreikenden die Verzweiflungsaktion ab. Die dreißig „Rückflüchtlinge“ aus Sachsen-Anhalt, die sich gestern noch im Hungerstreik befanden, hätten dagegen keinen Anspruch auf Bleiberecht — „weil Sachsen-Anhalt die AsylbewerberInnen zurück haben will“ (Sellach).
Wie die Sprecherin des Sozialministeriums Susanne Nöcker auf Nachfrage mitteilte, bestehe das Land Sachsen-Anhalt auf dem Rücktransport der Flüchtlinge. Die Länder Sachsen und Thüringen hätten dagegen signalisiert, daß zumindest die AsylbewerberInnen, die bis zum 30. September aus diesen beiden Bundesländern zurück nach Hessen flüchteten, im Westen bleiben könnten. Allerdings, so Nöcker weiter, gehe aus der Liste der rechtsradikalen Überfälle in der Bundesrepublik hervor, daß das westliche Bundesland Nordrhein-Westfalen die Spitze halte — „und Hessen liegt an fünfter Stelle“. Und deshalb könne es auch kein Moratorium, einen generellen Ausschluß der Rücktransporte in die neuen Bundesländer geben. Aufgrund des Rhein-Main-Flughafens übererfülle Hessen ohnehin seine Aufnahmequote für AsylbewerberInnen. Die Flüchtlings-Solidaritätsgruppe Schwalbach wirft der Sozialministerin vor, mit ihrem „Gnadenerlaß“ eine „unverantwortbare Menschensortiererei“ zu betreiben. Es dürften nicht „klaffende Wunden, Knochenbrüche, Verbrennungen oder demütigende Tests“ zur Bedingung dafür gemacht werden, ob ein Flüchtling in den „Genuß des Blaulschen Gnadenrechts“ komme oder nicht. In den zuständigen Ministerien, so die Solidaritäsgruppe, werde offenbar generell einer „Politik des Feldherrnhügels“ gehuldigt: „Mit den Mitteln der Volkspädagogik soll da einer militanten Ein-Volk-Gemeinschaft Toleranz abgetrotzt werden.“ Die dreißig AsylbewerberInnen in Schwalbach sind fest entschlossen, ihren Hungerstreik so lange fortzusetzen, bis sie — aufgrund des Blaul-Erlasses — gleichfalls ein Bleiberecht zugesichert bekommen. Klaus-Peter Klingelschmitt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen