Rot-grüne Posse mit „Dorfschulze“

Im Frankfurter Römer hängt der sozial-ökologische Haussegen schief/ Verkehrspolitik und Flughafenausbau als Dissenspunkte/ Grüne werfen SPD den Bruch der Koalitionsvereinbarungen vor  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Noch ganze 16 Monate sind es bis zu den hessischen Kommunalwahlen, doch in Frankfurt werden bereits die harten Bandagen ausgepackt. Während die rot-grüne Römer-Koalition bis zum Spätsommer dieses Jahres stille Sacharbeit leistete, schlagen SPD und Grüne seit dem Streit um den weiteren Ausbau des Rhein-Main- Flughafens öffentlich heftig aufeinander ein: „Profilsucht“ warf da etwa der SPD-Unterbezirksvorsitzende Sieghard Pawlik in der vergangenen Woche den Grünen vor. Vor allem die „Nörgeleien“ der Grünen in Sachen Verkehrspolitik werde die SPD nicht länger hinnehmen. Pawlik drohte: „Koalitionen sind Erfolgs- und Zweckbündnisse auf Zeit.“ Allerdings sei die CDU zur Zeit keine Alternative.

Es knirscht heftig im Getriebe der sozial-ökologischen Stadtkoalition, das doch zwei Jahre lang sanft schnurrte. Und die Christdemokraten, die in den Startlöchern stehen, reiben sich die Hände: Genüßlich zitierte die CDU in ihrem jüngsten 'Hessen-Kurier‘ die grünen Stadtverordneten Lutz Sikorski und Uli Baier, die den SPD-Magistratsmitgliedern Martin Wentz (Planung) und Hanskarl Potzmann (Bau) öffentlich „unglaublichen Dilettantismus“ vorgeworfen hatten. Von der angeblich neuen Verkehrspolitik der Koalition, so feixte die CDU, sei in der Stadt nach zweieinhalb Jahren rot- grüner Koalition „nichts zu sehen“— ein Vorwurf, der wiederholt auch von den Grünen in den Stadtteilen erhoben wurde.

Tatsächlich hatten Sikorski und Baier den sozialdemokratischen Magistralen nach deren „einsamer Absage“ an das von der Koalition beschlossene Verkehrsberuhigungskonzept vorgehalten, das Projekt „absichtlich blockiert“ zu haben. Die SPD trage allein die Verantwortung dafür, daß man bei der versprochenen „umfassenden Verkehrsberuhigung in der City“ keinen Schritt vorangekommen sei.

Die oppositionellen Christdemokraten reiben sich dagegen die Hände— vor Schadenfreude. Mit den rot-grünen Verkehrsplanungen, so der CDU-Kreisvorsitzende Karl Heinz Trageser süffisant, verhalte es sich so, als bereite man „Zuckerguß für eine Torte, die es noch gar nicht gibt.“ Alles, was die Stadträte Tom Koenigs (Umwelt/Die Grünen) und Martin Wentz bislang in Sachen Verkehrsberuhigung zuwege gebracht hätten, sei die Aufstellung von Blumenkübeln auf der Großen Eschersheimer Straße. Und das sei ein „schlechter Witz und eine Schikane für die Autofahrer“ (Trageser) gewesen. Daß die Christdemokraten auf ihrem Parteitag am vergangenen Wochenende mit einem umfassenden Verkehrsberuhigungsmodell à la Zürich liebäugelten, das den Vorstellungen der Grünen nahekommt, sei zwar ein „opportunistischer Akt“ gewesen, wie Umweltdezernent Tom Koenigs meinte. Doch die „Blockade der Koalitionsvereinbarungen im Verkehrsbereich durch die SPD“, so Koenigs, habe den Christdemokraten erst den Einbruch in die rot-grüne Domäne erlaubt. Und als sogar noch die Umgestaltung der zentral gelegenen Hauptwache von den zuständigen SPD-Dezernenten torpediert worden sei, habe es im Römer geknallt. Koenigs: „Das war ein klarer Bruch der Koalitionsvereinbarungen.“ Die SPD, so Koenigs, sei halt eine „Autofahrerpartei“.

Auch in Sachen Flughafenausbau hauen sich Sozialdemokraten und Grüne quer durch alle Entscheidungsebenen wie die Kesselflicker. Umweltdezernent Koenigs ist sich mit der hessischen SPD/Grünen- Landesregierung darin einig, daß es entsprechend der Koalitionsvereinbarungen auf Landes- und Stadtebene keine Ausweitung des Flughafengeländes über die bestehenden Grenzen hinaus geben dürfe.

Dagegen hat sich Oberbürgermeister Andreas von Schoeler (SPD) mit Flughafen-AG-Chef Stauber verbündet und fordert permanent den zügigen Flughafenausbau ohne Grenzen. Wenn es nach Staubers Plänen gehen würde, so jedenfalls Hessens Umweltminister Joschka Fischer, der auch Aufsichtsratsmitglied der Flughafen AG ist, müßten demnächst die an den Flughafen angrenzenden Landkreise Groß-Gerau und Offenbach-Land evakuiert werden — „um Platz für den größten Flughafen der Welt zu schaffen“.

Oberbürgermeister von Schoeler, der den Flughafen für den „Wachstumsmotor der Region“ hält und im Dreikampf mit Paris und London um den Standort für die europäische Zentralbank die Luftdrehscheibe Rhein-Main in die Waagschale werfen möchte, legte sich prompt mit seinem grünen Dezernenten und der gesamten Landesregierung an — unter dem Beifall der CDU in Stadt und Land.

Für Joschka Fischer hat sich von Schoeler als „Kirchturmpolitiker“ und „Dorfschulze“ profiliert, der offenbar über den Frankfurter Tellerrand nicht hinausschauen könne. Grüne und auch Sozialdemokraten aus dem Umland des Flughafens warfen von Schoeler vor, über die Interessen der Kommunen im Rhein- Main-Gebiet „mit unerträglicher Arroganz“ hinwegzugehen.

Für die Frankfurter SPD dagegen leiden die Grünen an einem „Von- Schoeler-Komplex“. Der sozialdemokratische Senkrechtstarter und Hauff-Nachfolger, so mutmaßte SPD-Chef Pawlik, mache offenbar nicht nur die Opposition, sondern auch die Grünen nervös: „Den Grünen ist dieser Oberbürgermeister einfach zu gut.“ Der Mann, der trotz seiner kurzen Amtszeit bereits „hohe Reputation bei den Bürgerinnen und Bürgern“ genieße, habe die Grünen „verkrampfen“ lassen. Pawlik: „Das ist beinahe eine Posse.“ Über die lacht allerdings derzeit nur die CDU.

Trotzdem aber gibt es, so Tom Koenigs, zur sozial-ökologischen Stadtkoalition keine Alternative. Man müsse aber einen „klaren Dissens“ auf zwei wichtigen Politikfeldern konstatieren. Koenigs: „Bis zu den Kommunalwahlen werden wir jeden zur SPD schicken, der sich über die ausgebliebene Verkehrsberuhigung aufregt.“ In Sachen Flughafenausbau sei die SPD doppelt an Koalitionsvereinbarungen gebunden— „auf Landesebene und in Frankfurt“. Das hätten auch die Sozialdemokraten im Römer zur Kenntnis nehmen müssen. Und deshalb sei die aktuelle Debatte um den Flughafenausbau innerhalb der bestehenden Grenzen des Airports nichts weiter als ein durchsichtiges „Rückzugsgefecht“. Gegen diesen „internen Ausbau“, so Koenigs, könne nämlich auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarungen nur bedingt vorgegangen werden.

Im Römer hängt also der Haussegen schief, doch „wenn es regnet, wächst's im Garten am besten“ (Koenigs). So habe eine interne Umfrage der nicht im Stadtparlament vertretenen FDP im Stadtteil Höchst ein erstaunliches Ergebnis gezeitigt, wie ein Fraktionsassistent der Grünen im Rathaus mitteilte. Zwar habe die rot-grüne Koalition in der SPD- Hochburg Höchst noch immer eine Mehrheit, doch die Gewichte hätten sich verschoben: Die SPD sei nur noch auf 36 Prozent gekommen. Und die Grünen auf stolze 16 Prozent. Damit habe das Wahlvolk die Querelen bei der SPD, den Hauff-Rücktritt und den „schmutzigen Kampf um die Nachfolge“ quittiert — „und gleichzeitig deutlich gemacht, daß die rot- grüne Koalition noch immer die bessere Alternative zur CDU ist“. Daß die SPD „das größte Hindernis auf dem Weg zum erneuten Wahlerfolg“ im März 1993 ist, glaubt auch Tom Koenigs, der vor Wochenfrist den parlamentarischen Startschuß für das von ihm in die Gänge gebrachte grüne Prestigeprojekt „Grüngürtel“ miterleben durfte. Koenigs: „Da, wo wir zuständig sind, läuft der Laden. Da, wo die SPD die Verantwortung trägt, stimmt der Rhythmus bei der Umsetzung der Koalitionsvereinbarungen nicht.“

Bislang hat sich Oberbürgermeister von Schoeler öffentlich nicht zu den Querelen zwischen den Koalitionären in der Mainmetropole geäußert. Die Quittung dafür — und für seine immer wieder in die aufgestellten Fettnäpfchen tretenden Dezernenten Wentz und Linda Reisch (Kultur) — bekam der „schöne Andy“ am vergangenen Sonntag nach dem Finale der ATP-Weltmeisterschaft im Tennis in der Frankfurter Festhalle überreicht. Von den 9.000 ZuschauerInnen buhte ihn eine Mehrheit aus — und von Schoeler sagte kein einziges Wort.