Nur die Rohstoffe können reizen

■ Jelzin ist nicht nur Bittsteller/ Die russische Wirtschaftspolitik wird vor allem von IWF und G-7 bestimmt/ Gegen zu viele Importe kann es nur heißen: Grenzen dicht!

Nicht nur als Bittsteller kommt Boris Jelzin nach Bonn. Er hat einiges zu bieten: mindestens die Hälfte der Weltreserven an Kohle, Erdöl und Ergas, gewaltige Vorkommen an Eisenerz, Bunt- und Edelmetallen, riesige Mengen Torf und Bauxit sowie ein Fünftel der Welt-Goldvorräte — und des Welt-Baumbestandes auch. In der Logik des rohstoffhungrigen Westens eine ideale Konkurrenz zu den bisherigen Lieferanten, weil mit einem hübschen Preisverfall zu rechnen wäre, gelängen die Lieferungen aus Sibirien, dem Ural oder dem Wolgagebiet tatsächlich auf den Weltmarkt.

Unter europäischen Abnehmern kommt der deutschen Industrie hier — geographisch, historisch, politisch bedingt — eine Schlüsselstellung zu; nicht zufällig scheint die Deutsche Bank über die wirtschaftliche Lage in der Sowjetunion und in Rußland besser informiert zu sein als die Bundesregierung. Nur stecken die Rohstoffe im Boden, und selbst wenn sie bereits gefördert sind, liegt das Transportwesen so darnieder, daß die Möglichkeit, damit die dringend benötigten Devisen einzunehmen, äußerst begrenzt ist. Wenn die Exporteinnahmen aber zu einem der wichtigsten Schlüssel für die wirtschaftliche Stabilisierung Rußlands werden, müssen Investitionen im Rohstoff- und Transportsektor her. Die Bedingungen dafür wird sich Jelzin kaum von Heinrich Weiss, dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, diktieren lassen. Der hatte zu Beginn des Jelzin-Besuchs deutsche Investitionen ohne Marktwirtschaft ausgeschlossen — als ob es nicht realistischer wäre, hier eine wechselseitige Entwicklung in vielen kleinen Etappen zu erwarten. Prompt meldete sich denn auch die Dresdner Bank zu Wort: Im Energie- und Transportbereich in ausgewählten Regionen lohne sich ein Engagement bereits heute.

Inzwischen ist für die Ausgestaltung des russischen Wirtschaftssystems faktisch der IWF zuständig geworden. Für die Lösung der Schulden- und Zahlungsprobleme ist es die G-7-Runde der westlichen Finanzstaatssekretäre. Jelzin kann mit einigem Recht in Bonn darauf hinweisen, daß er in seinen Entscheidungen an die Forderungen dieser beiden internationalen Institutionen ebenso gebunden ist wie an den Zwang, sich mit den anderen Republiken abzustimmen.

Einen Rat könnte Jelzin allerdings sehr gut mit nach Hause nehmen, nur wird er ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit in Bonn nicht zu hören bekommen: aus der jüngsten ostdeutschen Geschichte zu lernen und Importe aus dem Westen nur so weit zuzulassen, wie sie die heimische Wirtschaft nicht gefährden. Schon jetzt ist die wirtschaftliche Situation vieler Menschen in Rußland furchtbar — Jelzin zufolge lebt bereits mehr als die Hälfte der Familien unterhalb des Existenzminimums. Und es kann keinen Zweifel daran geben, daß — Überbrückungskredite hin, Rubelkonvertierbarkeit her — die Situation weit über den kommenden Winter hinaus noch schlimmer wird.

Deswegen wäre es fatal, würde den russischen Betrieben erlaubt, unbegrenzt etwa aus der BRD zu importieren — selbst wenn sie Devisen erwirtschaft haben. Denn angesichts des überwältigenden westlichen Produktivitätsvorsprungs müssen zunächst viele Branchen und Arbeitsplätze geschützt werden, um langsam an den Weltmarkt angepaßt zu werden und nicht von der Katastrophe in die Apokalypse zu geraten. Einerseits mit Einfuhrzöllen Industriepolitik zu betreiben, andererseits mit der Knappheit bei freigegebenen Preisen die inländische Produktion zu stimulieren und nicht den Schwarzmarkt, ist eine extrem schwierige Aufgabe. Vielleicht ist sie, was die internationalen Wirtschaftsbeziehungen angeht, die schwierigste. Dietmar Bartz