Vom Stolze, ein Upsländer zu sein

■ Erste Berliner Redeschlacht an der Hochschule der Künste zu den Themen »Wieviel Liebe braucht der Deutsche?« und »Warum ist der Deutsche so häßlich?«/ Die Götterspeise-Partei gewann

Charlottenburg. Form und Inhalt paßten aufs einträchtigste zusammen. Wenn von deutscher Häßlichkeit und Verklemmtheit die Rede ist, dann kann man als Deutsche/r vor einem Mikro nicht locker die Arme schwingen, sondern hat man ein Papierchen in der Faust zu zerknüllen oder in die metaphysische Leere hinter der deutschen Philosophie zu stieren. So manche unter den rund 60 StudentInnen aus allen Berliner Hochschulen, die sich vorgestern zur »Ersten Berliner Redeschlacht« trafen — ausgerichtet von der HdK nach dem Vorbild von Rhetorikwettbewerben anderer Unis —, machten hier große Leistungen geltend. Allerdings nicht immer ganz freiwillig.

Überwacht von einer sechsköpfigen Jury aus ProfessorInnen, Lehrbeauftragten und StudentInnen, mußten die widerstrebenden Widersacher von der gelben »Partei der Götterspeise« und der blauen »Partei des Paradiescreme« zum Rededuell gleichsam getragen werden, obwohl die Themen »Wieviel Liebe braucht der Deutsche?« und »Warum ist der Deutsche so häßlich?« eigentlich keine Langeweile verhießen. Zwei »Gutachter« sollten zu Beginn die Fraktionen aufstacheln. Doch wehe: Der erste von der blauen Fraktion, der die deutsche Häßlichkeit und mögliche multikulturelle Schönheitskuren in Pizzerien und Kebabsalons erläutern sollte, vergaß seinen Text mittendrin so gründlich, daß ihm nur noch das Aussehen eines begossenen Pudels verblieb. Und der zweite Gutachter von der gelben Partei, der im Tonfall der Republikaner »das Recht« verteidigte, »unsere Heimat gegen eine Flut von Ausländern zu schützen«, geriet des öfteren in peinsame Ernsthaftigkeit.

Aber da sind wir schon mitten im Thema, über das es ja auch zu debattieren galt: Unserem Volksstamm fehlt offenbar die rhetorische Leichtfüßigkeit. Bleideutsch bleiben wir am Boden des Themas kleben, statt uns götterbotengleich in geistige Höhenluft zu schwingen. Wenn wir über Liebe reden sollen, fällt uns nur Moral ein. So wie jenem blonden Jüngling aus der gelben Fraktion, der uns alle ermahnte, wir sollten uns »nicht allzusehr über deutsche Volkskultur wie das Musikantenstad'l erheben«. Oder den diversen RednerInnen der blauen Fraktion, die mit ernster Miene den gegenwärtigen Ausländerhaß sezierten.

Doch langsam, in steigender Hitze des Redegefechts, lockerten sich doch die Zungen, um mit Genuß über Hölzchen und Stöckchen zu stolpern: »Wir haben eben doch eine Einheit der deutschen Kultur, trotz regionaler Konflikte, die Sie uns jetzt als Stolpersteine überstülpen wollen«, warnte ein langhaariger »gelber« Redner die »blaue« Partei. »Sie haben uns ein Sinnvakuum aufs Auge gedrückt!« fügte er erzürnt hinzu.

Wogegen sich eine »blaue« Rednerin in grüner Hose nur aufs schärfste verwahren konnte: »Das Häßliche steckt im Deutschen drin, es ist ein tiefverwurzelter Komplex«, befand sie. Und brachte die Debatte endlich auch wieder auf den I-Punkt Liebe: »Zuviel Arbeit führt zu einem verspannten Gesichtsausdruck, womit die deutsche Häßlichkeit ja doch belegt ist. Und aufgrund der verbissenen Miene bekommt der Deutsche dann wieder zuwenig Liebe.«

Sie war es denn auch, zusammen mit einer anderen Frau, die die Debatte mit einem folgenschweren Antrag endlich aufs passende Niveau hob: Die Wörter »deutsch, Deutscher, Deutsche» sollten nicht mehr verwendet und statt dessen, ähnlich wie in der TV-Sendung Dingsda, durch das Wort »ups« ersetzt werden. Die pädagogische Wirkung war so durchschlagend, daß sie vorbehaltlos auch dem Bundestag empfohlen werden kann. Plötzlich erlöst von deutscher Tiefgründelei, schwebten die folgenden Reden schwerelos auf das Publikum nieder — ob die Kontrahenten nun »stolz» waren, »ein Upsländer zu sein« oder »nicht upstümelnd« sein wollten oder auch nur berichteten, wie ihr Upslehrer ihnen die upsländische Nationalhymne beibrachte.

Doch die mehrheitlich männliche Jury unter Vorsitz des Kommunikationsdozenten Holger Münzer wußte diese hinterlistige Subversivität am Ende leider nicht zu würdigen. Den dritten Preis für die beste Fraktion — eine Flasche Fabersekt — verlieh sie an die gelbe »Götterspeisen«-Partei, den zweiten Preis — eine Flasche Kriter — an den »blauen« Redner Joachim Bramer und den ersten — einen Deinhard — an Jan Kesting von der »Gelben«. Die weibliche Originalität ging leer aus. Womit nichts gegen die beeindruckende Schönheit und die Redekunst des jungen Gewinners gesagt werden soll — wer kommt schon so schnell auf solch einen im wahrsten Sinne des Wortes beeindruckenden Satz wie den vom »aufs Auge gedrückten Sinnvakuum«? Ute Scheub