KOMMENTAR
: Mit den scharfen Waffen einer Frau?

■ Zur inneren Aufrüstung im Berliner Hinter- und Hühnerhof/ Gockel und Kampfhähne setzen die alte Hackordnung durch

Rund 30.000 Anrufe bei der polizeilichen Anmeldestelle für Waffen innerhalb eines Jahres sprechen ihre eigene Sprache. Auch wenn keine Vergleichszahlen vorliegen, weil scharfe Schußwaffen unter alliierter Vorherrschaft bis Oktober 1990 grundsätzlich verboten waren, fühlt sich wohl die Mehrheit der Bevölkerung in dieser Stadt seit dem Fall der Mauer in ihrem Sicherheitsgefühl beeinträchtigt.

Tatsächlich geht es in Berlin seit zwei Jahren wie in einem Haufen gackernder und kreischender Hühner zu, die zuvor in engen Käfigen eingesperrt waren und jetzt, freigelassen, die Freiheit nicht mehr ertragen können. Vor allem die Gockel und Kampfhähne setzen mit Federnspreizen und aufgeblähtem Kikeriki nun alle ihre Mittel daran, die in Auflösung geratene Hackordnung wieder durchzusetzen, während die blöden Hühner sich nach wie vor fast jedes Picken auf ihren Köpfen gefallen lassen.

Die neue alte gesellschaftliche Rangordnung lautet: Autofahrer vor Radfahrern, also viele tote Radfahrer. Sie lautet auch: Weiße vor Schwarzen, also tote Ausländer. Und sie lautet immer noch: Männer vor Frauen, also zunehmende Gewalt in den Familien. Den Rest der Hackerei machen die Männer unter sich aus. Oder wie soll man sonst erklären, daß von den 30.000 Bewaffnung begehrenden Anrufern 29.000 männlichen Geschlechts sind?

Das soll aber jenseits berechtigter Selbstverteidigungstricks bitteschön nicht als Aufruf zur Bewaffnung der Schwächeren mißverstanden werden. Daß Frauen trotz ihrer objektiv größeren Bedrohung der Griff zur Schußwaffe immer noch fern liegt, ist eine — wenn auch nicht ganz freiwillig errungene — zivilisatorische Fähigkeit. Und da wir Frauen bekanntlich die Mehrheit stellen, schon gar in Berlin, können wir nur immer wieder lautstark fordern, daß sich der allgemeine zivilisatorische Level gefälligst nach uns richtet und wir nicht schon wieder, diesmal in der Spirale der inneren Aufrüstung, totgerüstet werden. Ute Scheub