: „Spiegel der neuen Situation“
Gefährdet der nationale Hörfunk die regionalen Kulturprogramme? ■ Von Stefan Müller
Sind regionale Kulturprogramme gefährdet, wenn der neugeordnete nationale Hörfunk kommt? Ihre Vielfalt war das beherrschende Thema der Frankfurter Hörfunkgespräche, die das Adolf-Grimme-Institut und das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik letzte Woche in Frankfurt am Main veranstaltete. WDR-Hörfunkchef Manfred Jenke sieht jedenfalls schon schwarze Wolken am Horizont der Kulturredaktionen aufziehen. Bereits im September hat er vor einem Abbau der Kultursendungen als Folge des überregionalen Hörfunks gewarnt.
Jetzt zog er in Frankfurt ein neues Modell aus der Tasche, das Deutschlandsender-Kultur und Rias aus Berlin sowie den Kölner Deutschlandfunk (DLF) unter einen Hut bringen soll: ARD und ZDF veranstalten ein gemeinsames Hörfunkprogramm aus Berlin und Köln. Dazu gibt es drei zusätzliche Satellitenprogramme mit den jeweiligen Schwerpunkten Nachrichten, Kultur und einem „urbanen Metropolenmagazin aus Berlin“. Dies sei aus den rund 300 Millionen Mark finanzierbar, die nach dem Ministerpräsidentenvotum für nationalen Hörfunk vorgesehen sind. Generell ist für Jenke die „Vielstimmigkeit ein kultureller Wert an sich“. Doch um diesen Vorschlag zu verwirklichen, müssen „Rias und DLF aus ihren Schützengräben raus“, so Jenke.
Rias-Kulturchef Manfred Rexin sieht den Jenke-Vorschlag allerdings als „Hinweis auf das Leichenschauhaus“, und empfahl, die drei vorgeschlagenen Satellitenprogramme lieber gleich wieder zu beerdigen. Die regionale Kulturberichterstattung sei „primär Auftrag der Landesrundfunkanstalten“. Laut Rexin kann der nationale Hörfunk helfen, das „Zusammenwachsen der zersplitterten Nation zu erleichtern“. Während es derzeit eine „Menge Wessi-Sender und Ossi-Sender gibt, sollen die bundesweiten Sender als Wossi-Sender die neue Situation glaubwürdig spiegeln“ (Rexin).
Matthias Sträßner (DLF) schlug in die gleiche Kerbe: „Der nationale Hörfunk nimmt eine Leuchtturmfunktion wahr und liefert Ereignisse vom Bodensee nach Lübeck oder Mecklenburg-Vorpommern.“ Nicht nur dies: der nationale Hörfunk werde an der Nahtstelle zwischen Deutschland und Europa gebraucht. Wo einer die Nahtstelle vermutet, sieht ein anderer bereits sich öffnende Löcher: Eine Verödung der regionalen Kulturprogramme sagte SFB-Kulturchef Jens Wendland voraus, wenn Feature-, Musik- und Hörspielproduktionen vom nationalen Hörfunk abgezogen werden. Und Hans Sarkowicz (HR Kultur Aktuell) meinte, daß „Frankfurter Rundschau‘ und 'Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ ja auch nicht auf die Idee kommen, ihre Feuilletons zusammenzulegen“.
Wie umgehen mit der Vielfalt? Gerda Hollunder (WDR) plädierte für eine Diskussion über neue Inhalte. Es mache wenig Sinn, nationalen Hörfunk zu den bereits bestehenden regionalen Sendern zu addieren, ohne über neue Inhalte nachzudenken. „Wir müssen nach Ideen suchen, was wir in unseren Programmstrukturen überhaupt noch nicht haben.“ Und Monika Künzel, DS-Kultur-Chefredakteurin, stellte lakonisch fest, daß DS „wahrscheinlich das einzige überlebende Ostprogramm aus der Nalepastraße bleiben wird“.
Zur Zeit hängen im Berliner Funkhaus die Aushänge zur Stellenausschreibung. Das ZDF nimmt die Mitarbeiter von DS-Kultur am 1. Janur 1992 vorübergehend unter Vertrag. Über DT64, das mit seinem vielfältigen Musikprogramm und dem Kulturreport Szene ebenfalls unverzichtbar ist, wurde bei den Hörfunkgesprächen nicht geredet.
SFB-Intendant Günter von Lojewski hält das „Frequenzproblem für das Entscheidende in der Diskussion um den nationalen Hörfunk“. Wer versuche, in Berlin Kultur zu reduzieren, „tut der Stadt unrecht“. Der Medienforscher Will Teichert verspricht sich vom nationalen Hörfunk „Multiplikator-Effekte à la Literarisches Quartett im Fernsehen“. Der kulturelle Bereich verdiene ein nationales Gespräch, so Teichert, der für regionale Fenster in den länderübergreifenden Programmen plädierte, weil „viele Kulturredaktionen überbesetzt sind“. Teichert hat beobachtet, daß sich die rund 13 Prozent HörerInnen, die sich als kulturinteressiert bezeichnen, nur „sehr selektiv“ in Kulturprogrammen bewegen und sogar häufiger die populären Dritten Programme einschalten.
Ob das an den Kulturmoderatoren liegt, die oft „schwerernst auf dem Podest der Hochkultur thronen“ und „nicht Radio auf hohem Niveau, sondern schlechtes Radio machen“, wie Gisela Zabka (Mediendienst 'epd‘) beobachtet hat? Daß auch kulturinteressierte HörerInnen nur nebenbei zuhören, „wird jedenfalls von den Machern zu wenig bedacht“, räumte HR-Hörspielchef Christoph Buggert ein. Und schon machte das von Jörg Dieter Kogel (Regio Bremen) eingebrachte Wort von der „Trefferquote“ der Kultursendungen die Runde bei den öffentlich-rechtlichen HörfunkmacherInnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen