Achtmal die DDR minus D-Mark-Option

■ Dem Staatsbesuch Jelzins kommt keine Schlüsselfunktion zu

Achtmal die DDR minus D-Mark-Option Dem Staatsbesuch Jelzins kommt keine Schlüsselfunktion zu

Von der Ausdehnung des Territoriums einmal abgesehen: So groß, mit Verlaub, ist Rußland nun auch wieder nicht. 150 Millionen EinwohnerInnen sind nicht einmal doppelt so viele wie im vereinigten Deutschland. Und die russische Wirtschaftsleistung selbst zu Prä-Gorbatschowschen Zeiten, als angeblich in der UdSSR noch stabile Verhältnisse herrschten, dürfte kaum diejenige von Großbritannien übertroffen haben. Von einigen OPEC-Staaten einmal abgesehen, ist in Rußland das Verhältnis von Bodenschätzen zur Einwohnerzahl weltweit einmalig.

Andererseits: Rußland ist nach Einwohnerzahl etwa achtmal so groß wie die ehemalige DDR und dürfte Mitte der achtziger Jahre etwa das Sechsfache der DDR-Wirtschaftsleistung erbracht haben. Da bietet sich eine Überschlagsrechnung an: Wenn für Rußland auch nur ein Kapitalfluß erreicht werden sollte, der dem gegenwärtigen nach Ostdeutschland entspricht, wären dazu ungefähr 600 bis 800 Milliarden DM nötig — pro Jahr. Selbst dann stünden im Ergebnis 30 Millionen Menschen ohne Arbeitsplatz da; die Bodenschätze aber wären verkauft. Ironie der Geschichte, daß Erich Honecker aus Rußland ausgerechnet nach Chile will: Dort sind die wirtschaftlichen Verhältnisse bereits so.

Rußland ist achtmal die DDR minus D-Mark- Option: Eine solche Rechnung hakt natürlich, und dennoch verschafft sie eine Vorstellung von der wirtschaftspolitischen Aufgabe, vor der Boris Jelzin steht. Die Wende in Moskau ist gerade erst drei Monate alt, und schon lamentieren bundesdeutsche Unternehmer und Wirtschaftsforscher, daß Jelzins Reformdekrete Unklarheiten ließen, nicht weit genug gingen, nicht genug Profil zeigten. Aber kann Jelzin, von Zusagen wie der Wolga-Republik abgesehen, überhaupt Profil zeigen? Gerade rechtzeitig ist Finanzstaatssekretär Köhler, der für Bonn an den G-7-Schuldenverhandlungen teilgenommen hat, aus Moskau zurückgekehrt, um der Bundesregierung die ungeheuere ökonomische wie politische Unübersichtlichkeit zu erklären, die derzeit in Moskau herrscht. Daß nicht Jelzin dies macht, ist ihm wahrlich nicht zu verübeln, abgesehen davon, daß es den Bonnern bekannt sein dürfte, daß Jelzin mit jeder seiner Äußerungen auch Politik gegenüber den anderen Republiken betreibt.

Eine Schlüsselfunktion, das zeigen auch die Ergebnisse, hatte dieser Staatsbesuch nicht. Die russische Wirtschaftspolitik, und auf die kommt es in Zukunft an, wird zwar in Moskau gemacht — aber eher von G-7 und IWF als vom Jelzin-Kabinett. Die internationalen Organisationen und die von ihnen beratenen russischen Politiker werden das Profil des „Weißen Riesen“ schaffen, daß die deutschen Unternehmer eingeklagt haben. Dietmar Bartz