Das letzte Dutzend Hürden für die Freihändler

Hinter verschlossenen Türen hat die Suche nach einem Durchbruch bei den Gatt-Verhandlungen begonnen/ Nicht mehr Agrarbeamte, sondern Politiker zimmern an Lösungen/ Die Landwirtschaft bleibt der Schlüsselbereich für den Erfolg des gesamten Gatt-Paketes  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Ist dies der Beginn des Endspurts? Am Mittwoch nachmittag schlossen sich in Genf wieder einmal die Türen. Jetzt verhandeln in Genf nicht mehr Beamte, sondern Politiker über die Landwirtschaft — den Schlüsselbereich bei den Verhandlungen im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt). Bei den Agrarexporten stoßen so grundlegende und so unterschiedliche Interessen aufeinander, daß vor allem an ihnen bisher eine Einigung über den künftigen Welthandel gescheitert ist. Nun haben die wichtigsten Kontrahenten hochrangige Agrarpolitiker in die Verhandlungen geschickt. Anders als vor einem Jahr, als die Gatt- Gespräche das erste Mal steckenblieben, gibt es diesmal keinen offiziellen Zeitplan, bis Dezember fertigzuwerden. Die Zeit drängt dennoch: unter anderem, weil in den USA im nächsten Jahr gewählt wird. Das Gatt-Paket soll unter Dach und Fach, bevor der Wahlkampf einsetzt.

Die „Gruppe der Großen Acht“, die nun um Exportsubventionen, Ausgleichszahlungen und Marktzugangsquoten zu feilschen begonnen hat, besteht aus dem stellvertretenden US-Landwirtschaftsminister Richard Crowder, seinem japanischen Amtskollegen Jiro Shiwaku, dem Chefunterhändler der EG-Kommission für Agrarfragen, Guy Legras. Die USA hat ferner ihren zweithöchsten Handelsbeauftragten Julius Katz geschickt; Regierungsmitglieder aus Argentinien, Neuseeland, Kanada und Australien vertreten die Interessen der getreideexportierenden Staaten, die in der „Cairns- Gruppe“ zusammengeschlossen sind, außerdem Finnland wird für die nordischen Länder dabeisein. Nur wenn in dieser Gruppe einen Durchbruch gelingt, wird es auch Fortschritte bei den anderen sechs Bereichen eines künftigen Gatt-Vertrages geben, über die in Genf auf Beamtenebene in parallelen Arbeitsgruppen weiterberaten wird: etwa den Handel mit Dienstleistungen, Textilien oder das Verfahren bei Anti-Dumping- Maßnahmen.

EG-Kommission betreibt PR-Politik

Bewegung ist in die Gatt-Verhandlungen gekommen, nachdem sich US-Präsident Bush mit EG-Kommissionspräsident Delors am 9. November in Den Haag getroffen hatte. Anschließend hatte die EG-Kommission (Zweck-)Optimismus verbreitet und die Hoffnung auf einen baldigen Durchbruch geschürt. Denn mit kräftiger Unterstützung zahlreicher westeuropäischer Medien lancierte Brüssel erfolgreich den Eindruck, Bush habe Konzessionen gemacht. Aus dem Zweck dieser Public-Relations-Übung macht der Genfer Chefunterhändler eines großen EG-Landes keinen Hehl: Den Bremsern unter den zwölf Staaten der Gemeinschaft — vor allem Frankreich und Irland — sollen unter dem Eindruck des US-Entgegenkommens künftige EG-Konzessionen akzeptabler erscheinen.

Und derer bedarf es noch einer ganzen Menge. Denn in den Details, auf die es ankommt, hat sich seit dem Treffen zwischen Bush und Delors wenig bewegt. Im einzelnen:

Bislang verlangten die USA und auch die 14 Staaten der Cairns- Gruppe von der EG die Reduzierung von Exportsubventionen um 90 Prozent. Um 75 Prozent sollen die internen Beihilfen und Marktzugangsbarrieren gegen Agrarimporte aus anderen Ländern gesenkt werden. Beide Reduzierungen sollen innerhalb von zehn Jahren verwirklicht werden. In Den Haag deutete Bush nun die Bereitschaft an, künftig auf der Grundlage einer Senkung von jeweils 30 bis 35 Prozent in allen drei Bereichen innerhalb von fünf Jahren Jahren zu verhandeln.

Bush fügte allerdings eine entscheidende Bedingung hinzu, die die EG-Kommission in der öffentlichen Darstellung des Den Haager Treffens herunterspielt: Ein Gatt-Abkommen muß verbindlich festlegen, daß nach diesen fünf Jahren die Reduzierungen weitergehen und die dazu nötigen Verhandlungen rechtzeitig vor Ablauf der fünf Jahre beginnen. US-Unterhändler in Genf machten am Mittwoch deutlich, daß Washington auf einer solchen verbindlichen Klausel besteht. Gatt- Diplomaten aus EG-Ländern reden hingegen nur von einer „vertraglich nicht verbindlichen Absichtserklärung“ zu einer „Überprüfung“ des Gatt-Abkommens nach fünf Jahren.

Umstritten vor allem zwischen EG und USA ist nach wie vor das Basisjahr für die Berechnung des Reduzierungszeitraumes. Die unterschiedlichen Modelle aus Washington und Brüssel zielen jeweils darauf ab, die bereits seit dem Beginn der aktuellen „Uruguay-Verhandlungsrunde“ im Jahre 1986 einseitig reduzierten Exportsubventionen und internen Beihilfen rückwirkend auf eine künftige Gatt-Vereinbarung anrechnen zu können. Die EG hat allerdings in den letzten Wochen erkennen müssen, daß sie mit den massiven Brüsseler Subventionserhöhungen der letzten zwei Jahre ihren diesbezüglichen „Kredit“ weitgehend aufgezehrt hat. Entsprechend kompromißbereiter zeigen sich die EG- Unterhändler in diesem Punkt.

Kein Konsens besteht bisher über die Art der produktionsunabhängigen Zahlungen, die Bauern künftig noch — ohne Begrenzungen durch ein Gatt-Abkommen — aus der Regierungskasse erhalten dürfen. Ursprünglich war daran gedacht, mit diesen finanziellen Leistungen, die im Gatt-Jargon „Green-Box“-Zahlungen heißen, lediglich ökologisches Landwirtschaften, die Still

legung von Produktionsflächen sowie die Bewahrung und Pflege dieser Flächen als Kultur- und Fremdenverkehrslandschaften zu unterstützen.

Der Plan von EG-Landwirtschaftskommissar Mac Sharry zur Reform des Brüsseler Agrarpreissystems sieht jedoch vor, sämtliche Direktzahlungen, mit denen die Bauern der Gemeinschaft für den Wegfall der bisherigen Exportsubventionen und internen Beihilfen entschädigt werden sollen, unter die „Green- Box“-Ausnahme zu fassen. Auch im Bonner Kabinettsbeschluß, mit dem die Bundesregierung am 9. Oktober „Flexibilität“ in der Uruguay-Runde zu signalisieren suchte, setzte Landwirtschaftsminister Kiechle entsprechende Bestimmungen durch.

Was kommt in die „Green Box?“

Die USA lehnen eine solche Regelung ab. Im Gegenzug würde Washington sein bisheriges „deficiency payment“-Programm beibehalten: Mit ihm wird den US-Farmern die Differenz zwischen den Weltmarkt- und den US-Binnenmarktpreisen für ihre Agrarprodukte ausbezahlt. Dieses Programm weist wiederum die EG als „marktverzerrend“ zurück. Sollten sich Washington und Brüssel dennoch einigen, alle diese Zahlungen künfig unter der „Green-Box“- Ausnahme zuzulassen, dürfte dies auf erheblichen Widerstand bei den 14 Cairns-Staaten und den meisten „Drittwelt“-Staaten unter den 108 Gatt-Ländern treffen, die eine vergleichbare Unterstützung für ihre Bauern und Farmer bislang nicht kennen und in der überwältigenden Mehrheit auch nicht zahlen könnten.

USA und Cairns-Gruppe wollen die Agrarproduktion in den Gatt- Ländern und damit die auf den Weltmarkt geworfenen Mengen aber nicht nur mit dem haushaltspolitischen Instrument verringern, Beihilfen und Subventionen zu kürzen. Sie schlagen darüber hinaus die Festlegung von Produktions- und Exporthöchstmengen vor. Die EG lehnt dies bisher strikt ab.

Auf ebenso entschiedene Ablehnung, aber diesmal in Washington, stößt die Absicht der Brüsseler Kommission, das sogenannte rebalancing beizubehalten. Gemeint ist damit, daß die EG als Ausgleich für selbstauferlegte Zurückhaltung beim Export von Futtermitteln den entsprechenden Import aus den USA beschränken. Auf dem Genfer Verhandlungstisch liegt derzeit ein EG- Vorschlag, diese Importe für eine noch nicht näher bestimmte Dauer auf dem derzeitigen Mengenniveau einzufrieren.

Dieser spezielle Disput zwischen EG und USA ist nur eine konkretes Beispiel für den ebenfalls noch ungelösten Konflikt unter allen Gatt- Staaten über das Instrument der safeguards. Gemeint ist die Möglichkeit eines Gatt-Vertragsstaates, die eigene Landwirtschaft oder Industrie durch befristete Importbeschränkungen vor einem plötzlichen, unerwartet großen Anstieg ausländischer (Billig-)Einfuhren zu schützen.

Nicht zugestimmt haben die USA bislang der — auch von vielen anderen Gatt-Staaten unterstützen — EG-Forderung, Washington möge künftig auf alle einseitigen Sanktionsinstrumente verzichten und handelspolitische Dispute ausschließlich über das multilaterale Regelwerk des Gatt austragen. Darstellungen aus Kreisen der EG, Bush habe in Den Haag Entgegenkommen in diesem Punkt gezeigt, haben sich als falsch erwiesen. Der Forderung nach Aufgabe der Sanktionsinstrumente stehen wachsende Tendenzen im US-Kongreß entgegen, das diesbezügliche Gesetz („Super 301“) sogar noch zu verschärfen. Vor allem Protektionismusanhänger unter den Demokraten erwägen, entsprechende Verschärfungsbestimmungen als Zusatz an einen Gatt-Vertrag anzubringen, sobald die Bush-Administration diesen dem Kongreß zur Zustimmung vorlegt.

Der zur Zeit gültige Zeitplan von Gatt-Generaldirektor Arthur Dunkel sieht vor, daß — eine Einigung im Agrarbereich vorausgesetzt — alle sieben Gatt-Arbeitsgruppen bis spätestens Ende November Vertragsentwürfe für ihre Bereiche erstellen. Diese Texte, voraussichtlich immer noch mit einer Reihe von Klammern versehen, müssen dann den Regierungen in den Hauptstädten vorgelegt werden.

Noch ein Thema für Maastricht?

In Genf wird damit gerechnet, daß sich auch der EG-Gipfel am 9./10. Dezember in Maastricht trotz seiner bereits übervollen Tagesordnung mit dem Thema Gatt beschäftigen soll. Nach der Beseitigung der letzten Klammern in den Vertragstexten, die politische Enscheidungen erfordern, könnten die Experten der jeweils beteiligten Staaten dann an die letzten Detailarbeiten begeben. Mit einer Unterzeichnung des kompletten Gatt-Abkommens auf Ministerebene wäre dann — bei Einhaltung des optimistischen Zeitplanes — im Januar/Februar nächsten Jahres zu rechnen.