Kühe bleiben auf Dioxinweiden

Umweltminister konnten sich in Leipzig nicht auf Richtwerte für die Dioxinbelastung einigen/ Richtwert-Gegner NRW und Hamburg setzten sich durch/ Deutschlands Äcker bleiben giftig  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) — In der Bundesrepublik wird es auch künftig keine verbindlichen Richtwerte für die Dioxinbelastung von Böden geben. Auf der Umweltministerkonferenz in Leipzig haben sich am Freitag die Gegner solcher Richtwerte aus Nordrhein-Westfalen und Hamburg durchgesetzt. Obwohl sich das Umweltbundesamt (UBA) und des Bundesgesundheitsamt (BGA) schon 1990 auf Richtwerte geeinigt hatten, um die viel zu hohe Dioxinbelastung der Bundesbürger zu senken, behauptete der NRW-Umweltminister Klaus Matthiesen (SPD) nach der Konferenz, man könne solche Richtwerte erst festlegen, „wenn eine wirklich fundierte Datengrundlage vorhanden ist“.

Streit gab es vor allem um den von den Ämtern empfohlenen Richtwert für landwirtschaftlich genutzte Flächen. Nach Ansicht der BGA-Experten sollten solche Böden mit nicht mehr als 5 Nanogramm Dioxin pro Kilo belastet sein, um die Dioxinbelastung der Lebensmittel zu senken. In einem Arbeitskreis mit Ländervertretern hatten sich die Wissenschaftler dann aber darauf festlegen lassen, für diese Böden lediglich Behandlungsempfehlungen zu geben. Selbst das reichte der Düsseldorfer Landesregierung nun noch nicht. Im Vorfeld des Treffens hatten die Landesregierung mit neuen Entwarnungsstudien argumentiert, die die Wissenschaftler des Bundesgesundheitsamtes allerdings „nicht sehr überzeugend“ fanden (siehe taz vom 15.11.).

Matthiesen forderte nach seinem Erfolg in Leipzig erstmal einen bundeseinheitlichen Grenzwert. Für den wäre sein Bonner Kollege Klaus Töpfer (CDU) zuständig. Der steht zwar nach eigenen Angaben hinter den Richtwerten von UBA und BGA, kommt aber bei dem für die Festlegung von Grenzwerten notwendigen Bodenschutzgesetz nicht voran.

Im Hannoveraner Umweltministerium reagierte man zwiespältig. Ministerin Monika Griefahn hatte sich wenigstens mit der Forderung durchsetzen können, die Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Dioxinexperten zu erhalten. Die Arbeitsgruppe solle in Zukunft nun auch Grenzwerte erarbeiten, die dann von der Bundesregierung in Gesetze gegossen werden könnten. „Das ist in unserem Sinne“, so Mussack. Ursprünglich hatte NRW auf Bund- Länder-Ebene nur noch Bürokraten mit der Bewertung der Dioxin- Gefahren befassen wollen.

Vor und während der Konferenz hatten sich Umweltschützer und Minister wie die Kesselflicker um die Dioxin-Richtwerte für landwirtschaftlich genutzte Böden gestritten. 80 bis 90 Prozent der täglichen Dioxinbelastung der Bevölkerung stammen aus der Nahrung.

Die Umweltorganisation Greenpeace warnte die Umweltminister im Vorfeld, nicht durch eine Heraufsetzung der Richtwerte für Dioxin „die Gesundheit der Bevölkerung aufs Spiel zu setzen“. Die Minister sollten vielmehr für einen Stopp der weiteren Verseuchung der Böden sorgen und sich für den Ausstieg aus der Chlorchemie einsetzen. Greenpeace nannte 21 Chlorproduzenten in der ganzen Bundesrepublik, unter ihnen Bayer, Hoechst und BASF, Dow Chemical, die Deutsche Solvay sowie die Buna AG und Bitterfeld Chemie in den neuen Bundesländern. 9 der 21 Chemieproduzenten haben ihren Standort in NRW. Von der dortigen Landesregierung kam auch der heftigste Widerstand gegen niedrige Richtwerte. Selbst das in Düsseldorf erscheinende 'Handelsblatt‘ hatte sich genötigt gesehen, vom Versuch einer „Verwässerung der Dioxin- Richtwerte“ zu schreiben.

Die Grünen im Düsseldorfer Landtag hatten Minister Matthiesen gleichzeitig aufgefordert, seine Position zu den Richtwerte zu überdenken. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) im industriellen Kernland der Republik befürchtet, nach einer Anhebung der Richtwerte würden „Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche für die weitere Verseuchung mit hochgiftigen Dioxinen und Furanen freigegeben“. Ohnehin liege nur noch die Hälfte der Böden in den ländlichen Teilen von NRW unter dem unbedenklichen 5-Nanogramm-Wert der Bundesämter.