INTERVIEW: Geld für Rußland ist Zukunftsinvestition
■ Karsten Voigt, Außenpolitischer Sprecher der SPD, fordert massive Unterstützung für Jelzin
taz: Der Besuch von Boris Jelzin in der Bundesrepublik hat vieles offengelassen — trotzdem ein guter Anfang?
Karsten Voigt: Es ist ein guter Beginn, weil es jetzt direkte deutsch-russische Beziehungen geben wird. Es wird eine deutsch-russische Parlamentariergruppe geben. Es ist klargeworden, daß Rußland als Vollmitglied in den Europarat eintreten und eine eigene Vertretung bei den Vereinten Nationen haben will.
Hätten Sie sich konkretere Ergebnisse oder Absichtserklärungen der Bundesregierung gewünscht?
Ich glaube, die Konzentration auf das Thema Honecker und das Problem der Sowjetdeutschen ist verständlich. Aber das Kernproblem ist die Frage der ökonomischen Entwicklungen in der Sowjetunion in den nächsten Monaten. Jede Milliarde, die man dort sinnvoll neu investiert, spart in Zukunft Geld. Denn jede Krise der Demokratie, jede Instabilität dort wird mehr als Geld kosten und Europa bedrohen. Deswegen sollten die Deutschen, die Europäer jetzt schnell helfen. Jelzin hat beispielsweise gesagt, wenn die Bundeswehr bei Transporten auch innerhalb der Sowjetunion helfen würde, dann würde er das begrüßen.
Aber gerade in dieser Hinsicht sind die Erklärungen der Bundesrepublik recht vage geblieben.
Ja, sie sind nichtssagend geblieben. Es wäre im wohlverstandenen Eigeninteresse sinnvoll, jetzt etwas zu geben. Es wäre übrigens auch eine sicherheitspolitische Investition. Was jetzt in Rußland passiert, ist ja nur ein Sonderfall dessen, was insgesamt in Osteuropa passiert, und nur ein Sonderfall dessen, was wir aufbringen müssen, wenn wir den Nord-Süd-Konflikt ökonomisch bewältigen wollen. Deshalb muß man auch deutlich sagen, daß die deutschen Steuerzahler im Notfall bereit sein müssen, Geld aufzubringen.
Rußland braucht neben der schnellen Hilfe den Neuaufbau der Wirtschaft. Was hat der Besuch für diese langfristige Aufgabe gebracht?
Die Erklärungen sind so vage formuliert, daß sie viel ermöglichen, aber noch nichts präzise festlegen. Ich glaube, daß Beratung und Hilfe generell dezentralisiert werden müssen, nicht nur von der Union auf die Republiken, sondern auch noch innerhalb der Republiken. Es ist gut, einen gemeinsamen Rat in St. Petersburg zu schaffen, aber es wird einen zweiten in Sibirien und einen dritten in Moskau, einen vierten im Süden geben müssen.
Ihr Eindruck von Boris Jelzin?
Er ist sicher gegenwärtig sehr populär in der Sowjetunion und noch populärer in Rußland. Aber das kann sich ändern, wenn die ökonomischen Probleme wachsen. Solange die Demokratie in einem Lande von der Popularität einzelner Politiker abhängig bleibt, ist die Demokratie nicht stabil. Deshalb sollten wir nicht nur auf Personen setzen, sondern demokratische Strukturen stärken. tb
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