“Neuverschuldung kein Tabu“

■ Bericht der Arbeiterkammer zur Lage der ArbeitnehmerInnen in Bremen

Bremens Wirtschaftskraft ist gestiegen, die Bremer ArbeitnehmerInnen haben eine höhere Leistung erbracht, aber sie werden durch die ungerechte Steuerverteilung und den Länderfinanzausgleich um die Früchte ihrer Arbeit betrogen. Das ist nachzulesen im Bericht zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lage der ArbeitnehmerInnen im Lande Bremen 1990. Die Bremer Arbeiterkammer (AK) präsentierte jetzt das schwergewichtige graue Werk, verbunden mit Kritik und Ratschlägen an PolitikerInnen aller Parteien, wie AK-Chef Heinz Möller betonte.

Noch vor einer Einigung über ein politisches Programm sei von den Ampelkoalitionären erst einmal festgelegt worden, daß Bremens Bürger „höhere Gebühren zahlen und weniger Leistungen des öffentlichen Dienstes in Anspruch nehmen dürfen“. Dabei leiden Arbeitnehmerfamilien in Bremen schon seit Jahren unter „dem Diktat dieses permanenten Haushaltsnotstandes“, so Heinz Möller. Eine wesentliche Ursache für die Schuldenlast von 14,7 Milliarden ist für den Kammerchef die ungünstige Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern. So blieben den Bremern von 7,5 Milliarden Steuereinnahmen nur drei Milliarden in der eigenen Kasse.

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Angelina Sörgel, Mitautorin des Berichtes, forderte einen umfassenden Vergleich der öffentlichen Leistungen in den Stadtstaaten, damit endlich mit dem Vorurteil aufgeräumt würde, den Bremer ArbeitnehmerInnen ginge es überdurchschnittlich gut. Auch der zweite AK-Geschäftsführer Peter Flieshardt äußerten die Überzeugung, der jetzige Sparkurs der Bremer Landesregierung werde die Finanzkrise nicht lösen. „Das ist so, als streiche ein Familienvater seinem Sohn eine von zwei Mark Taschengeld, um sein Haus abzuzahlen,“ bebilderte Heinz Möller die Kritik der Kammer. Nicht Sparappelle und die weitere Begrenzung des eigenen Handlungsspielraumes durch Pochen auf den Paragraphen 18 der Haushaltsordnung (wonach die Neuverschuldung die Höhe des Investitionshaushaltes nicht übersteigen darf) bringe Bremen nach vorn, auch nicht mit Seitenblick auf das ausstehende Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Länderfinanzausgleich.

In Karlsruhe seien die Bremer Anwälte in ihrer Argumentation längst umgeschwenkt. Nicht mehr „Bremen als ärmstes Bundesland“, sondern der Wille zum Erhalt der Stadtstaaten im förderativen System sei das Pfund, mit dem man wuchern müsse, so Angelina Sörgel. Damit der Stadtstaat aber attraktiv bleibe, „ist für uns auch eine Neuverschuldung kein Tabu“. Die Politik der nächsten vier Jahre müsse darauf abgeklopft werden, ob sie den ArbeitnehmerInnen zugute komme. Peter Flieshardt bezeichnete das von Finanzsenator Claus Grobecker angekündigte Sparpaket als „Keule, die einen tiefen Einschnitt in die Lebensbedingungen der ArbeitnehmerInnen“ bedeute. Die Kammer will demnächst mit konkreten Alternativvorschlägen zur Wirtschaftspolitik an die Öffentlichkeit treten. asp