■ DIE PREDIGTKRITIK
: Sorgen — de luxe

Während sich die Protestanten an diesem Wochenende noch mit ihren Toten beschäftigten, galt es bei den Katholiken schon wieder mal ihr Liebstes zu tun — nämlich zu feiern. Das Christkönigsfest wollte begangen werden — so auch in der St.-Matthias—Gemeinde am Winterfeldtplatz. Seinerzeit als katholischer Stützpunkt zwischen der Hedwigskirche und Potsdam gebaut, im Krieg schwer zerstört, sind die Wiederaufbauarbeiten noch immer im Gange. Der Altarraum wurde gerade frisch verputzt — im modischen Pizzeria-Rauhputz-Look.

Überhaupt scheint die Gemeinde einen Hang zum Süden zu haben, denn erst kürzlich ging sie auf Wallfahrt nach Fatima in Portugal. Auf dem Rückweg stand noch die Besichtigung des Christkönigsdenkmals auf dem Plan, welches sich hoch über der Stadt Lissabon befindet, womit wir uns der Kernaussage schon beträchtlich nähern. Wie kam dieses monströse Denkmal dorthin? — Die portugiesischen Frauen legten ein Gelübde ab, daß sie dieses Denkmal errichten wollten, falls ihr Land vom Krieg verschont bliebe: Versprochen war versprochen, und dies gilt auch für die Sankt-Elisabeth-Gemeinde in Schöneberg: Deren Gelübde hieß, man wolle sich — so die Kirche unversehrt den Krieg überstehe — jeden Sonntag um 15 Uhr treffen — und sie kommen noch heute.

Das erinnerte an diese Art von Kuhhandel aus meiner Kindheit: »Lieber Gott, wenn ich die Mark wiederfinde, gehe ich bestimmt am Sonntag in die Kirche.«

Aber daran — so sagt es der Pfarrer — sei eigentlich nichts Verwerfliches, denn Gott ist auch dafür da, daß ich ihm meine Sorgen anvertraue. Durch das Gebet werden die alltäglichen Sorgen aus den Niederungen des Alltags nach oben gehoben, sie befinden sich dann in guten Händen, weil sie damit Gottesanliegen geworden sind. Eine sympathische Idee: Meine kleinen Sorgen werden so der Popeligkeit enthoben, werden ganz groß und wichtig — also quasi geadelt. Andererseits ergibt sich die Frage, ob es nicht peinlich ist, Gott — in diesem Falle Jesus — mit solchen Lappalien zu behelligen? —

Keinesfalls, sagt der Pfarrer, denn warum wir mit unseren Sorgen zu Gott gehen können und sollen, ergibt sich aus dem Johannes- Evangelium. Es geht um die Stelle, als Jesus von Pilatus gefragt wird, ob er der König der Juden sei. »Ja«, sagt Jesus, »aber mein Reich ist nicht von dieser Welt.« Da hat Jesus wahrhaft königlich gehandelt, denn er hat sich nicht als König feiern lassen, sondern den König erst am tiefsten Punkt seines Lebens hervorgekehrt, und das nicht um seiner selbst willen: er wollte seine Jünger schützen. Königlich handeln, das hieß für Jesus folglich, für die anderen dazusein, also auch für mich und meine Sorgen.

Doch schon kommen die Zweifel — die Maximalforderung: Warum kann er sie mir dann nicht gleich abnehmen? — Dann könnte ich mich ganz unbeschwert nur den schönen Dingen des Lebens widmen. Doch so einfach geht es selbst in der katholischen Kirche nicht mehr. »Das gehört alles dazu«, sagt der Pfarrer, als ein Kind in der ersten Reihe zum Herzerweichen kreischt und die Mutter — peinlichst berührt — gen Ausgang strebt: Wenn ihr das demnächst nicht mehr peinlich sein muß, dann hat sie schon eine Sorge weniger. Lutz Ehrlich