Mysteriöser Karten-Schwarzmarkt!

Beim Internationalen Berliner Reitturnier griffen die Organisatoren zu ungewöhnlichen Maßnahmen.  ■ Aus Berlin Michaela Schießl

So ein bißchen Kreuzberger Autonomen-Seele steckt wohl in jedem Berliner. Trotzig-motzig grantelt sich der neo-metropolitanische Durchschnittseinwohner durch seine Stadt, immer auf der Suche nach jemanden, den man im breitesten Berlinerisch zurechtweisen kann. Dieser gewinnende Charakterzug hat sich in den langen Jahren des Inseldaseins gepaart mit einer entschiedenen Ablehnung jedweder Kompetenz. Die eiserne Regel: lieber hausgemachte Originalität statt herzloser Professionalität.

Was aber tut der Berliner, wenn ihm, dem Original, etwas Liebgewonnenes entrissen wird, um es einem Profi von außerhalb in den Rachen zu schmeißen? Er stellt auf stur: „Wenn icke nich will, wird das nix.“

Die jüngste Kostprobe dieser erstaunlichen Charakterfestigkeit lieferte am Wochenende die Berliner Messegesellschaft AMK. Jahrelang war sie verantwortlich für die Durchführung des Weltcup-Reitturniers in der Deutschlandhalle. Daß zuletzt kaum noch Zuschauer kamen, brachte die AMK nicht aus der Ruhe, wohl aber die Sponsoren und neuerdings auch die Politiker. So ein Gedümpel darf es nicht mehr geben in der neuen Hauptstadt! Olympia ruft!

So vergab man das internationale Turnier erstmals und gleich für zehn Jahre an Privatorganisatoren: an Paul Schockemöhle, dem Pferdemogul aus Mühlen, und dessen Promotion-Crew. Gemeinsam mit der befreundeten Escon-Werbeagentur (Dr. Kaspar Funke) und der holländischen Agentur BCM (Henk Brüger) gründete Schockemöhle für dieses Turnier die Promotion-Sports- Marketing GmbH. Und die legte los: Die Preisgelder wurden um 170.000 Mark auf 523.000 Mark aufgestockt, der Gesamtetat um 750.000 auf 2,4 Millionen Mark, alles finanziert über Sponsoren, TV-Gelder, Zuschauereinnahmen und Nenngelder. Die Deutschlandhalle wurde umgestrichen: vom „potthäßlichen Khakibraun von 1936“ (Funke) in ein warmes Weinrot. Die Logen rückten dichter ans Reitgeschehen. Den Einreitvorhang zierte das Brandenburger Tor, ein Hindernis stilisierte das Charlottenburger Schloß, von einem anderen grinste das Berliner Olympia-Bewerbungsbärchen. „Wir versuchen, dem Turnier wieder ein Berliner Profil zu geben. Es muß mehr sein als eins von 18 Weltcup-Turnieren“, erklärte Kaspar Funke. „Die Berliner müssen wieder kommen. Und sie kamen, dank einer breitgestreuten Kartenvergabe über Reitklubs, verbilligten Preisen und geschickter Promotion. So geschah das Ungeheuerliche: Bereits am Donnerstag war die Halle mit 7.000 Zuschauern fast voll besetzt. Die Ehrung ehemaliger DDR-Reiter lockte Fans aus den neuen Bundesländern. Und Schockemöhle präsentierte Menschen, Tiere, Sensationen. Frisbee-Hunde, einheimische Quadrillenreiter (Mamma und Pappi kommen mit), spätestens die Dressurvorführung der Springreiter Dirk Hafemeister und Hugo Simon brachte die Stimmung auf den Siedepunkt. Alle amüsierten sich.

Alle, außer der AMK. Ex-Organisationschef Reitmann ließ sich nicht blicken. Was wohl ein Signal war. Denn auch seine Bediensteten machten sich rar. Am Samstag morgen bildeten sich hundert Meter lange Schlangen vor der Kasse. Die AMK hatte von den zehn vorhandenen Kassen nur eine geöffnet. Späte Rache? „Das will ich nicht unterstellen. Die haben mit den Maßstäben vom Vorjahr gemessen“, sagte Funke. Und krempelte die Hemdsärmel hoch: Weiße Zettel mit dem handschriftlichen Vermerk „Eintrittskarte“ wurden kopiert, Funke packte Schockemöhle und gemeinsam hökerten sie wie Schwarzhändler vor dem Eingang. „Karten, wer will Karten, billig, billig, bei uns verkauft der Chef.“ Wenn's ums Geld geht, ist kein Einsatz zu teuer.

Doch der Bosheit sind keine Grenzen gesetzt. Wenn schon der Boykott fehlschlägt, dann wird man eben persönlich. Als Meister Schockemöhle in die VIP-Lounge trat, wurde ihm der Tee verweigert: Er konnte sich nicht ausweisen. „Na hörn se mal, da könnt ja jeder kommen...“ Kopfschüttelnd widmete sich der Sportdirektor wieder dem Sport. Und natürlich gewann einer aus seinem Stall: Franke Sloothaak, der mit Gerd Wildfang wohl begnadeste Reiter der Welt, auf „Walzerkönig“. Der Mann, der ein Pferd auf einer Briefmarke wenden kann, ringelte sein Ross derart eng und um die Sprünge, daß die Konkurrenz im Stechen vergleichsweise ungelenk aussah. Mit 38,78 Sekunden war er über eine Sekunde schneller als Thomas Fuchs mit „Dollar Girl“ (40,07) und Dirk Schröder auf „Lacros“ (41,92). Im Weltcup führt Sloothaak mit 35 Punkten vor Jean-Marc Nicholas (Frankreich/27) und Tina Cassan (Großbritannien/22).