PRESS-SCHLAG
: „Stolz, ein Ossi zu sein“

■ Verbrüderung der Rostocker und Frankfurter Fans

Bruder, Oma, Vadder, Mudder — alle saufen auf'm Kudder!“ Siebzig heisere Kehlen berichteten im schrägen Chorgesang von der Meisterschaftsfeier der Fans des FC Hansa Rostock im vergangenen Jahr. Da waren sie „die Größten“ in der in Auflösung begriffenen „DeDeÄr“. Und auf dem gekaperten dänischen Butterschiff gab's Tuborg und Aquavit bis zum Abwinken: „Echt gail, Alder!“

Die Fans der Frankfurter Eintracht mit dem Vereinsnamen „Hessen '90“ waren beeindruckt. Schließlich liegt die letzte Meisterschaftsfeier der Eintracht 32 Jahre zurück — und die Jungs und Mädels mit den schwarzroten Schals lagen damals noch in „Abrahams Worschtkessel“. „Kontaktaufnahme zwischen den Fangruppen“ war angesagt in der gutbürgerlichen Gaststätte des Eintracht-Hotels am Waldstadion — ein „gesellschaftspolitisches Ereignis“, wie Fedor Weiser vom „Verein Fanprojekt Frankfurt am Main“ vor der „historischen Begegnung“ anmerkte.

Historisch war das Treffen in der Tat, denn einige der Hansa- Fans hatten die alten DDR-Fahnen dabei. Und ein 22jähriger Student der Betriebswirtschaft trug gar das FDJ-Blauhemd: „Ich bin stolz, ein Ossi zu sein.“ Die Hansa-Fans seien eine klassenlose Gesellschaft — „so wie das früher bei uns generell war“. Doch auch die „klassenlose Gesellschaft“ braucht einen Chef: „Bulette“ nennen sie den 25jährigen Reichsbahn-Schlosser Axel Klingbeil, weil der in etwa das Doppelte seines Idealgewichts auf die Waage bringt. Wenn Bulette in der Phonstärke eines startenden Jumbos „Ruhe!“ brüllt, dann ist auch Ruhe — und Zeit für das nächste Bier.

Die Eintracht-Fans reagierten mit Mixed-Emotions auf die neuen Freunde von der Waterkant. „Irgendwie anders als wir sind die schon“, meinte der 29jährige Peter N., der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, „weil ich beim Staat angestellt bin.“ Genau könne er aber nicht erklären, was die Hansa-Fans von den Eintracht- Fans unterscheide: „Das liegt an deren Mentalität. Die ist irgendwie anders, markanter. Wahrscheinlich liegt's auch am Dialekt — und an der politischen Einstellung.“ Eine „Neigung zu rechtsradikalen Äußerungen“ hat Peter N. im Verlauf der sechs Kontaktstunden konstatieren müssen. Das liege an an der sozialen Notlage der Ostdeutschen. Und die Schuld daran, da ist sich Peter N. sicher, trage der Bundeskanzler: „Kohl ist einfach zu doof, um zu erkennen, was sich da drüben zusammenbraut.“

Bulette verteidigt leidenschaftlich seine Truppe. „Mit Rechtsradikalismus haben wir nichts am Hut.“ Und die harten Hooligans mit der strammrechten Gesinnung, die seien keine richtigen Hansa- Fans. Maximal vierzig Leute aus der „knallharten Szene“ hätten die Fans aus dem Nordosten in Verruf gebracht. Daß beim „Hansa! Hansa“-Gebrüll seiner Mannen der rechte Arm gen Holztafeldecke gereckt wird und sich ab und an die Finger zum „W“ der NPD spreizen, sei normale Härte: „Provo — und sonst nix.“

Als die Rostocker dann gemeinsam mit den Frankfurtern in den ansonsten aus Sicherheitsgründen gesperrten B-Block ziehen, um sich Eintracht gegen Hansa reinzuziehen, schleppen die Hansestädter eine riesige Flickenfahne mit sich: Die Deutschlandfahne, die Reichskriegsflagge, das Hansa-Emblem mit der Kogge und die DFB-Fahne als Einheitsbanner — ein Spiegelbild der ostdeutschen Fanseele.

Für die Verantwortlichen vom Fanprojekt war der Tag ein gelungenes Experiment, auch wenn es vor dem Spiel am Hauptbahnhof krachte, und die Polizei Randalierer aus Rostock festnehmen mußte. Die harten Hooligans, so Fedor Weiser, die könne man mit solchen Aktionen ohnehin nicht beeindrucken. „Aber die andern, die kann man vor dem Abdriften ins harte Lager retten.“ Klaus-Peter Klingelschmitt