Kambodscha stellt sich den Mühen des Friedens

Während Phnom Penh zum begehrten Reiseziel für ausländische Regierungsvertreter wird, ist in der Bevölkerung die Euphorie nach Sihanouks triumphaler Rückkehr geschwunden/ Sihanouks Sohn Ranaridh und Hun Sen kündigen Koalitionsregierung an  ■ Von Larry Jagan

Was der kambodschanische Premier Hun Sen in jahrelangen Verhandlungen erreichen wollte, hat er jetzt geschafft: Die internationale Isolierung des Landes ist beendet. Die ersten Außenminister und ausländischen Regierungsvertreter machen in Phnom Penh ihre Aufwartung. Eigentlich wollte der französische Außenminister Roland Dumas, der am vergangenen Freitag in Kambodscha eintraf, den Reigen eröffnen. Doch sein thailändischer Kollege war darauf bedacht gewesen, ihm zuvorzukommen — er war schon am Mittwoch zur Stelle. Thailand will Hun Sen und die internationalen Hilfsorganisationen davon überzeugen, daß es der beste und nächstliegende Geschäftspartner beim Aufbau des Landes ist. Im kommenden Monat wird unter anderem auch der chinesische Außenminister Qian Qichen erwartet.

Daß die politische Unterstützung für die Regierung Hun Sens durch die kambodschanische Bevölkerung und die Stabilität des Landes davon abhängen, wie die Regierung die wirtschaftlichen Probleme des Landes in den Griff bekommt, steht für politische Beobachter und Regierungsvertreter in Phnom Penh fest. „Wenn die Menschen hungrig sind, werden sie schlecht gelaunt“, sagte Vizeaußenminister Long Visulu kürzlich, „wenn sie satt sind, wird die Situation ruhig sein. Ausländische Investitionen und wirtschaftliche Entwicklung werden uns helfen, die politischen Probleme zu lösen.“

Aber Vertreter der Hilfsorganisationen in Phnom Penh sehen auch die Zweischneidigkeit dieser Politik. Denn wenn die Administration nicht in der Lage ist zu zeigen, daß die ins Land fließenden Mittel tatsächlich alle Teile der Bevölkerung erreichen, sind Unmut und Zorn im Lande vorprogrammiert. Schon wächst in Kambodscha die Unzufriedenheit mit der Art und Weise, wie sich die städtische Elite und die Beamten bereichern, während sich das Leben für die meisten der kambodschanischen Bauern nur wenig, wenn überhaupt, verbessert hat. Die Roten Khmer könnten die Unzufriedenheit der Bauern ausnutzen, darin haben sie Erfahrung.

Die Kambodschaner beobachten diese Entwicklung mit wachsender Sorge. Gegenwärtig herrscht ein labiles Gleichgewicht, aber alle fürchten die Möglichkeit eines erneuten Blutvergießens. Die Euphorie, die mit Prinz Sihanouks Ankunft in der vergangenen Woche verbunden war, fiel mit dem Eintreffen der Roten- Khmer-Führung wenige Tage danach wieder in sich zusammen. Deren Rückkehr „hat die bitteren Erinnerungen an die Vergangenheit wieder geweckt und die Unsicherheit der meisten Menschen verstärkt“, sagte ein junger kambodschanischer Journalist, der fast seine gesamte Familie während der Pol-Pot-Herrschaft verloren hat. Die Wunden zu heilen, die der über zwanzig Jahre währende Konflikt aufgerissen hat, wird nicht leicht sein. „Nach über zwanzigjährigem Kampf sind wir daran gewöhnt, uns gegenseitig umzubringen. Damit sich das ändert, braucht es Zeit“, erklärte ein hochrangiges Mitglied der rechtsgerichteten „Khmer Peoples National Liberation Front“ (KPNLF).

Inzwischen haben alle vier Fraktionen Sihanouk offiziell als Präsident anerkannt — was die Frage offenläßt, wie wohl das Land mit zwei Präsidenten verfahren wird, denn schließlich ist der alte Staatschef immer noch im Amt. Der Oberste Nationalrat, dessen Vorsitzender Sihanouk ist, trat am Samstag zum ersten Mal in Phnom Penh zusammen, war jedoch nicht beschlußfähig, da der Vertreter der Roten Khmer nicht aufgetaucht war. Die ehemaligen Bürgerkriegsgegner halten nicht mit ihrem Unmut darüber zurück, daß sie von der internationalen Gemeinschaft gezwungen wurden, ein Abkommen zu unterzeichnen, von dem keiner so recht begeistert ist. In Paris hatte Hun Sen erklärt, der Vertrag lasse viel zu wünschen übrig, nicht zuletzt, weil er den Völkermord der Roten Khmer nicht erwähne. Große Probleme mit dem Friedensplan hat insbesondere auch die KPNLF, da ihre Vertreter wohl am meisten zu verlieren haben. Beobachter an der kambodschanisch-thailändischen Grenze, wo die KPNLF ihre Basis hat, erklären, diese kleinste der bewaffneten Gruppierungen sei nach den heftigen Verlusten, die sie in den Kämpfen seit dem Rückzug der Vietnamesen 1989 zu verbuchen hatte, zu einer Truppe von Banditen verkommen. In den von der KPNLF kontrollierten Gebieten sind nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen Entführungen, Raub und Vergewaltigungen an der Tagesordnung.

Wahrscheinlich werden die Vertreter der KPNLF bei den ersten Treffen des Obersten Nationalrates (SNC) in Phnom Penh ihre Forderung auf Rückgabe von Eigentum und Land an die Besitzer von vor 1975 bekräftigen. Das würde jedoch zu einem absoluten Chaos führen, Hunderttausende ihrer Wohnung berauben und einen bitteren Konflikt bedeuten zwischen jenen, die aus dem Ausland zurückkehren — und auf einen Schlag reich würden, indem sie den früheren Besitz ihrer Familien beanspruchen — und jenen, die gezwungen waren, zurückzubleiben, und die den Terror überlebten. Ein Rezept für neue Gewalt.

Nun bereiten sich die kambodschanischen Fraktionen auf die zukünftigen Wahlen vor. Hun Sens Partei und das kambodschnische Parlament haben sich erst kürzlich formal des Marxismus-Leninismus entledigt und die KP in Kambodanische Volkspartei umbenannt. Die hatte bereits seit einiger Zeit begonnen, aktiv die Privatisierung staatlicher Betriebe und marktwirtschaftliche Entwicklungen zu unterstützen. Doch die Bekehrung der kambodschanischen Führung zu westlichen politischen Werten dagegen ist eine neuere Erscheinung. Ein Mehrparteiensystem will die Regierung in Phnom Penh denn auch erst ins Auge fassen, wenn sich im März kommenden Jahres die Institutionen der UN- Übergangsverwaltung in Kambodscha voll installiert haben. Nachdem Hun Sen und Ranaridh Sihanouk, Sohn des Prinzen und dessen Nachfolger in der Leitung seiner Widerstandsgruppierung, in der vergangenen Woche ankündigten, sie hätten ein „Wahlbündnis“ gebildet, teilte der Prinz am Samstag in Phnom Penh mit, beide Gruppierungen hätten sich darauf geeinigt, mit gemeinsamen Listen zur Wahl anzutreten, um dann eine Koalitionsregierung zu stellen.

Es heißt, daß Sihanouk und Hun Sen fürchten, die Kandidatur zu vieler Parteien könnte die Bevölkerung „verwirren“. Viele Parteien und das Verhältniswahlrecht könnten dazu führen, daß keine Partei eine sichere Mehrheit erringt. Was wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöhen mag, daß die Roten Khmer bis zu 25 Prozent gewinnen und so zu einer einflußreichen Kraft werden — und das versucht Hun Sen die ganze Zeit verzweifelt zu verhindern. li