Schamirs Zorn über US-„Ohrfeige“

Die Einladungen der US-Regierung zur zweiten Nahost-Verhandlungsrunde in Washington hat in israelischen Regierungskreisen Empörung ausgelöst/ Beratungen über israelische Reaktion  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Als „Ohrfeige“ bezeichneten hohe Regierungsbeamte im Gefolge des israelischen Ministerpräsidenten Jizchak Schamir die ultimative Einladung der USA zu weiteren bilateralen Verhandlungen am 4.Dezember in Washington. Noch bevor Schamir am Freitag vor Ablauf seiner zehntägigen Reise mit US-Präsident Bush und Außenminister Baker zusammentraf, erreichte die Einladung die Teilnehmer der Verhandlungen, darunter den israelischen Außenminister Levy, ebenso wie die Palästinenservertreterin Hanan Aschrawi in ihrem Haus im in den besetzten Gebieten gelegenenen Ramallah.

Das Vorgehen der amerikanischen Regierung sorgte auch für Irritationen in Moskau. Während aus dem Weißen Haus am Freitag verlautet hatte, das Datum und der Verhandlungsort seien mit der der Sowjetunion, dem zweiten Schirmherren der Konferenz, abgestimmt, erklärte Außenminister Schewardnarze tags darauf, es bedürfe noch einiger Konsultationen.

Eine positive Antwort auf die Einladung wird bis spätestens Dienstag dieser Woche erwartet. Die US- Regierung hat die Einladung mit einer Reihe von Themenvorschlägen für das erste Verhandlungsstadium verbunden. So sollen bei den israelisch-syrischen Gesprächen alternative Wege zum Frieden unter der Voraussetzung eines israelischen Rückzugs aus dem Golan und entsprechenden Sicherheitsarrangements erörtert werden. In den libanesisch-israelischen Verhandlungen sollen Sicherheitssmaßnahmen im südlichen Libanon nach einem Rückzug israelischer Truppen aus der Region auf der Tagesordnung stehen.

Was die israelisch-jordanisch/ palästinensischen Verhandlungen betrifft, so empfiehlt Washington, daß man sich möglichst rasch über die Errichtung eines Selbstverwaltungssystems (Autonomie) für die palästinensische Bevölkerung der besetzten Gebiete einig wird. Dies solle ohne vorherige Diskussionen von Fragen wie der Kontrolle der Wasser- und Landressourcen, des zukünftigen Status Ost-Jerusalems und der politischen und rechtlichen Grundlage des Autonomiestatus geschehen.

Aus der Einladung wird klar, daß man in Washington bereits fest davon ausgeht, daß es sich bei der jordanisch-palästinensischen Delegation praktisch um zwei separate Verhandlungsteams handelt, was Israel gar nicht genehm ist.

Besonders verärgert ist man in israelischen Regierungskreisen über den „ultimativen Charakter“, der amerikanischen Einladung, und daß sie an die einzelnen Beteiligten (inklusive Israel natürlich) verschickt wurde, bevor Jizchak Schamir am Freitag Gelegenheit hatte, mit Präsident Bush zu sprechen. Tags zuvor hatten sich Schamir und Baker am Tag zur Frage des Verhandlungsortes nicht einigen können. Darüber beklagte sich Schamir dann auch bitterlich beim amerikanischen Präsidenten. Das Gespräch Bush-Schamir wurde von israelischer Seite als „höchst unangenehm“ bezeichnet.

In Jerusalem erklärte ein Kabinettsmitglied, die USA zeigten jetzt deutlich, daß sie „keine Absicht haben, Israel mit den Arabern direkt verhandeln zu lassen, und daß die Vereinigten Staaten in jedem Verhandlungsstadium den verschiedenen Seiten ihren eigenen Willen aufzwingen wollen“.

So kann das nicht weitergehen, erklärte ein anderer Minister und forderte eine sofortige Auseinandersetzung mit Washington, „bevor wir in den bilateralen Gesprächen zur Behandlung der entscheidenden Probleme kommen“. Regierungsbeamte in Jerusalem stellen jetzt in Frage, ob die Bush-Regierung noch als ein „ehrlicher Makler“ gelten kann; und wenigstens gegenwärtig ist ihre eigene Antwort: nein. Das Ministerpräsidium und Außenministerium hier beschuldigen James Baker des Vertrauensbruchs, weil er bei seinem letzten Besuch in Jerusalem angeblich versprochen hatte, daß der Wunsch Israels, die Gespräche in der Nahost-Region abzuhalten, erfüllt wird. Dies im Gegenzug zur Einwilligung Israels, die Eröffnung des Verhandlungsprozesses in Madrid stattfinden zu lassen.

Schamir kündigte an, er wolle nach seiner Rückkehr am Sonntag abend dringende Beratungen abhalten, um die israelische Antwort auf das „amerikanische Ultimatum und die Ohrfeige“ zu formulieren. Nach einer Version, die im Umlauf ist, soll Israel seine positive Antwort nur mit der Bedingung geben, daß sich Washington fest dazu verpflichtet, daß die dritte Verhandlungsrunde in der Nahostregion, eventuell Zypern, stattfindet. Eine zweite Möglichkeit ist eine Bitte um Aufschub der israelischen Antwort, das heißt Ablehnung des „Ultimatums“.

Jedenfalls ist Jerusalem ernstlich erbost über die „Art der Behandlung“ des israelischen Ministerpräsidenten bei seinem Washingtoner Besuch; die Schamir-Berater und andere Regierungsbeamte beschreiben den Umgang mit dem höchsten politischen Vertreter des Staates Israel als „schandhaft“ und „bar jeder Achtung“, und „ohne Präzedenz in den Beziehungen zwischen amerikanischen Präsidenten und israelischen Ministerpräsidenten“. Ein israelischer Politiker erklärte in Washington: „Damit endet das besondere diplomatische Verhältnis zwischen USA und Israel. Die Amerikaner führen jetzt Israel gegenüber eine brutale Diplomatie ein: sie wollen auf diese Weise der arabischen Welt signalisieren, daß Washington nicht mehr einseitig zu Israel steht. Außerdem versuchen die Amerikaner, allen Seiten klar zu machen, daß keine Zeitvergeudung geduldet wird, und daß ein ,Hinziehen‘ der Verhandlungen mit Bagatellen und Spiegelfechtereien gar nicht in Frage kommt.“

Damaskus (ap) — Syrien hat seine Teilnahme an der zweiten Runde der Nahostkonferenz in Washington von der Bereitschaft der Regierung in Jerusalem abhängig gemacht, über die von Israel besetzten Gebiete zu verhandeln. Das verlautete am Wochenende aus diplomatischen Kreisen in Damaskus.

Bisher hat nur Jordanien erkennen lassen, daß es an den bilateralen Gesprächen zwischen den Konfliktparteien teilnehmen will. Die Sprecherin der palästinensischen Beraterdelegation bei der Madrider Nahostkonferenz, Hanan Aschrawi, erklärte am Samstag, die Palästinenser seien bereit, an den Verhandlungen in Washington teilzunehmen. Voraussetzung sei allerdings, daß alle Seiten zu ernsthaften Gesprächen führen wollten. Allgemein wird erwartet, daß auch Israel an der zweiten Konferenzrunde teilnehmen wird. Libanons Außenminister Fares Bweis sagte am Samstag, die Regierung in Beirut habe die Einladung der Vereinigten Staaten erhalten und werde in Kürze antworten.

In Damaskus hieß es, Syrien und die Palästinenser wollten ein geplantes Koordinierungstreffen mit Jordanien boykottieren, weil man darüber verärgert sei, daß Amman ohne vorherige Absprache mit den arabischen Nachbarn die Teilnahme an der Konferenz zugesagt habe.