„Dankbar rückwärts und gläubig aufwärts“

CSU-Parteitag in München verabschiedete neues Umweltprogramm und lehnte ein Tempolimit strikt ab/ CSU-Chef Waigel und Bayerns Ministerpräsident schwelgen in Eigenlob/ „Christlich-abendländische Struktur“ gegen Multikultur  ■ Aus München Bernd Siegler

„Mir ham a Leit, dene's pressiert.“ Ein Delegierter aus Miesbach hatte dem Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle so richtig aus dem Herzen gesprochen. Der hatte auf dem 55. CSU-Parteitag in München seine Stellungnahme gegen ein Tempolimit auf den bundesdeutschen Autobahnen mit einem Plädoyer für das Auto eingeleitet. „Ich fahre viel und gern Auto“, bekannte der oberste Bauer der Republik und heimste damit den Beifall von mehr als drei Viertel der knapp über 1.000 Delegierten ein.

Der Miesbacher Delegierte könnte damit aber auch den frischgekürten Schatzmeister der CSU, Otto Wiesheu, gemeint haben. Der hatte vor acht Jahren unter Alkoholeinfluß mit seiner schweren Limousine einen kleinen polnischen Fiat auf der Autobahn gerammt. Der Fahrer des Kleinwagens war sofort tot, Wiesheu wurde zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt und trat vom Posten des CSU-Generalsekretärs zurück. Die CSU-Basis hat dem Raser vergeben und ihn zum neuen Schatzmeister ins Parteipräsidium gewählt. Gleichzeitig bereitete sie dem Vorsitzenden des CSU- Umweltarbeitskreises, Josef Göppel, in der Frage der Geschwindigkeitsbegrenzung eine Niederlage.

Gott sei Dank, mag sich ein weiterer Freund der hohen Geschwindigkeit, der Parteichef Theo Waigel, gedacht haben. Er will der CSU ganz nach dem Parteitagsmotto „Welt im Wandel — Partei der Stabilität“ ein christlich-konservatives Profil geben. 92,6 Prozent der Delegierten sprachen ihm dafür ihr Vertrauen aus und ließen die massive Kritik am unpopulären Wirken des Bundesfinanzministers im Vorfeld des Parteitags vergessen. Nur der bayerische Innenminister Edmund Stoiber, der als Chef der CSU-Grundsatzkommission ein klares Bekenntnis zur „christlich-abendländischen Grundstruktur“ der Gesellschaft — im Gegensatz zu einer multikulturellen — verankert wissen will, erzielte bei den Stellvertreterwahlen zehn Stimmen mehr als sein Parteichef. Damit wahrte er seine Ambitionen auf die Nummer eins in der bayerischen Politik und auf die Nachfolge von Max Streibl als Ministerpräsident im Jahre 1999.

Klar im Mittelpunkt des Parteitags stand das heftig umstrittene Umweltprogramm, erarbeitet unter Federführung des Forstwirts Josef Göppel. Der zähe innerparteiliche Widerstand, die eindeutig negativen Stellungnahmen aus der CSU-Ministerialbürokratie und die Abwanderungsdrohungen der Industrie brachten den CSU-Mann in den Geruch eines „Rebellen“. Göppel, passend gekleidet im Trachtenjanker, bezeichnete den „Schutz der Schöpfung als ureigenstes Gebiet“ der CSU, auf dem sich die Partei „von niemandem übertreffen lassen“ sollte. Insbesondere die von ihm geforderte konsequente Anwendung des Verursacherprinzips durch ökologische „Lenkungsabgaben“ und das Tempolimit verärgerten die Parteispitze.

Göppel will mit einer Kohlendioxid- und einer Abfallabgabe die Industrie zur Einführung umweltverträglicher Produkte und Produktionsprozesse zwingen. Seine innerparteilichen Widersacher sehen darin aber verkappte „Ökosteuern“, die die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie beeinträchtigen. Da sprang aber Bayerns Umweltminister Peter Gauweiler für den Forstwirt in die Bresche. Umweltschutz gebe es „nicht zum Nulltarif“, betonte Gauweiler und überzeugte die Mehrheit der Delegierten, eine Streichung sämtlicher Ökoabgaben aus dem Programm abzulehnen.

Für den „Law-and-order“-Fetischisten Gauweiler ist „Umweltpolitik auch Ordnungspolitik“. Er ist froh, daß Ökologie nicht mehr länger eine ideologische Frage sei und betonte in zwanghaft blumiger Ausdrucksweise, daß „im Eiseshauch des absterbenden real existierenden Sozialismus auch alle Blütenträume des Öko-Sozialismus“ gewelkt seien. Ganz ökologisch begründet Gauweiler denn auch in der Asyl- frage eine Änderung des Grundgesetzes mit der Begrenzung des Landverbrauchs und der „Überfüllung in der Mitte Europas“. Volk ohne Raum auf neue Art: „Wer unser ohnehin schon dicht besiedeltes Land zum Einwanderungsland machen will, gibt das umweltpolitische Ziel, den Flächenverbrauch zu begrenzen, auf“, heißt es nun im verabschiedeten Programm.

Insbesondere die Frage des Tempolimits brachte die Gemüter der Delegierten in Wallung. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Günther Müller bemühte gar die Abgasmengen an Methan und Kohlendioxid der „wiederkäuenden Kühe“, um den Unsinn einer Geschwindigkeitsbegrenzung zu beweisen. Wolfgang Gröbl, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, warnte vor einer „Verteufelung“ des Autos. Ignaz Kiechle pries die guten Bremsen der teuren deutschen Autos. Innenminister Stoiber bestritt den Wert eines Tempolimits für die Verkehrssicherheit und Öko-Hardliner Gauweiler hielt seinen Mund. Göppels engagiertes Plädoyer für eine Geschwindigkeitsbegrenzung als Beweis „für die Ernsthaftigkeit unseres Willens“ hatte da keine Chance mehr. Nach seiner Niederlage ließ er sich jedoch zu keinerlei Spekulationen darüber hinreißen, wie weit der lange Arm der Kfz-Industrie in CSU-Parteiführung und -Kabinett reiche. Immerhin stehen Daimler-Benz mit 400.000 DM und BMW mit 315.000 DM konkurrenzlos an der Spitze der CSU- Spenderliste von 1990.

Parteichef Waigel, ein eingefleischter Tempolimit-Gegner, war nicht nur mit diesem Ergebnis zufrieden. Zusammen mit Ministerpräsident Streibl schwelgte er in Eigenlob über die „hervorragenden Leistungen der CSU“ auf der ganzen Welt. Vom Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus über die Abrüstung bis zur Souveränität von Estland und Lettland reichten demnach die Erfolge der Partei mit der stagnierenden Mitgliederzahl von 185.000. In seiner Grundsatzrede forderte Waigel von seiner Partei eine „kalkulierbare Politik mit klaren Aussagen in den Zeiten des Umbruchs“. Dazu gehöre notfalls ein Alleingang der CSU in der Abtreibungsfrage sowie ein Alleingang Deutschlands in der Anerkennung Kroatiens. Dazu gehört aber auch das Votum des als „Busengrapscher“ in Verruf gekommenen CSU-Moralapostels und Kultusministers Hans Zehetmaier, der Kinderkrippen, Gesamtschulen und Ganztagesschulen „als Erbe der sozialistischen Gleichmacherei“ strikt ablehnte. Mit einem „Dankbar rückwärts, mutig vorwärts und gläubig aufwärts“ umriß Streibl seine christlich-fundamentalistische Position und Waigel beendete seine Rede konsequent mit einem Dank an „unseren Herrgott, der unserem deutschen Vaterland nach furchtbaren Jahren in diesem Jahrhundert wieder ein gutes Schicksal geschenkt“ habe.