Blauhelme in der Warteschleife

■ Nach den Verhandlungen zwischen den Präsidenten Serbiens und Kroatiens mit dem UN-Sondergesandten Vance am Wochenende in Genf zeichnen sich in der Frage der Entsendung von UN-Truppen in die Kriegs-region...

Blauhelme in der Warteschleife Nach den Verhandlungen zwischen den Präsidenten Serbiens und Kroatiens mit dem UN-Sondergesandten Vance am Wochenende in Genf zeichnen sich in der Frage der Entsendung von UN-Truppen in die Kriegsregion Fortschritte ab. Heftige Angriffe auf Osijek.

Ein wenig unsicher war er schon, der UNO-Sondergesandte Cyrus Vance, als er am Samstag nach Abschluß des 14. Waffenstillstands in Genf vor die Presse trat. Es seien zwar Fortschritte über die Modalitäten des Einsatzes von Blauhelmen in der Kriegsregion getroffen worden, doch auch er könne keine Gewähr dafür übernehmen, daß nicht weiter gekämpft würde. Vance, der letzte Woche sichtlich erschüttert von einem Besuch aus dem völlig zerstörten Vukovar zurückgekommen war, hatte es mit seiner Einladung an die Konfliktparteien nach Genf ernst gemeint. Und es gab sogar Hoffnung, als Milosevic und Tudjman zusammen mit Vance und Lord Carrington sowie dem Chef der „Jugoslawischen Volksarmee“, Kadijevic, die Lage erörterten. Immerhin hatte Tudjman in einem wichtigen Punkt nachgegeben: Die Armee-Einheiten auf dem unter kroatischer Kontrolle stehenden Gebiet sollen nun mit ihrem Gerät abziehen können; vorher wollte Kroatien lediglich die Soldaten abziehen lassen — aus der Argumentation heraus, daß diese Einheiten, wären sie auf der anderen Seite, sofort im Krieg gegen Kroatien eingesetzt werden könnten. Die Blockade der Kasernen sei nun aufgehoben, erklärte Vance, und die andere Seite habe zugesichert, die humanitäre Hilfe für die Opfer des Krieges nicht mehr zu behindern.

Doch an den entscheidenden Punkten hat sich nichts bewegt. Wiederum stimmten die serbische Seite und die Armee dem Einsatz von Blauhelmen zu, so daß Vance bekanntgab, daß es schon in dieser Woche zu ihrem Einsatz kommen könnte — vorausgesetzt, die Beteiligten würden endlich die Waffenruhe einhalten. Gleichzeitig wurde aber auf den Schlachtfeldern der Druck erhöht: Osijek steht wieder unter Beschuß. Auch an der dalmatinischen Küste kam es zu Kämpfen.

Vor dem UNO-Einsatz Fakten schaffen?

Unter diesen Umständen ist es verständlich, wenn der kroatische Präsident Tudjman in einem dringenden Appell um die Entsendung von UNO-Truppen nachsuchte und damit einen Konsens verließ, den die Kriegsparteien bisher aufrechterhalten hatten: Der Einsatz von UNO- Truppen muß an einen Waffenstillstand gebunden sein. Die serbische Seite, so sagte Tudjman zu Recht, unternehme neue Offensiven, um innerhalb der nächsten 25 Tage kroatische Städte zu erobern. Damit wolle Serbien vor dem Eintreffen von UNO-Truppen Fakten schaffen.

Und in der Tat gibt es keine Anzeichen dafür, daß die serbische Seite von ihren Kriegszielen abläßt. Zwei Drittel des kroatischen Territoriums sollen erobert werden — Slawonien, die dalmatinische Küste bis Split, die Banija. Schon im Frühjahr war es die erklärte Absicht serbischer Rechtsradikaler vom Schlage des Cetnik- Führers Seselj, Kroatien zu einem Reststaat zusammenzuschrumpfen. Und die Führung der Armee wie auch des serbischen Staates folgen noch einer anderen Empfehlung der Extremisten: Die kroatische Bevölkerung soll vertrieben werden, um das frei werdende Land mit Serben zu besiedeln. Und die UNO-Truppen sollen dann, nach vollbrachtem Werk, wie in Zypern die neu entstandene Grenze absichern. Die Eroberungspolitik bietet der weiterhin herrschenden Nomenklatura die Möglichkeit, die katastrophale Entwicklung der Wirtschaft zu überdecken. Wer Land erhält, wird sich dankbar erweisen.

Unter diesen Bedingungen wäre es wahrlich ein Wunder, wenn es Vance gelingen sollte, eine der wichtigsten Vorbedingungen für den Waffenstillstand und damit für einen schnellen Einsatz der Blauhelme zu erreichen. Und diese ist die Entwaffnung der frei operierenden Freischärlertruppen. Wenn die Armee es ernst meinte, müßte sie die serbischen Cetniks und andere Extremisten entwaffnen.

Die Praxis im Krieg verweist dagegen auf etwas ganz anderes: Den Cetniks wird in Kroatien bei Massakern an der Zivilbevölkerung freie Hand gelassen, von denen sich die Armee anschließend distanziert. Erst am Samstag überstellte die Armee die Leichen von 34 Bewohnern des Dorfes Skabrnja den kroatischen Behörden in Zadar. Sie wiesen Spuren von Folterungen auf. In Kroatien dagegen hat Präsident Tudjman unter diesem Gesichtspunkt sogar eine weitere Vorleistung erbracht, indem er seine schärfsten Kritiker, die Führer der ultranationalistischen kroatischen „Partei des Rechts“ und der Freiwilligentruppe HOS, Dobrislav Paraga und Milan Vukovic, hat verhaften lassen. Paraga soll wegen angeblicher Putschabsichten sogar der Prozeß gemacht werden. Vukovic hatte noch am Freitag letzter Woche in einem Gespräch mit der taz Tudjman zum Rücktritt aufgefordert. Erich Rathfelder