Marivaux macht Bremer fraux

■ „Die falsche Zofe“ von Pierre Carlet de Marivaux hatte Premiere am Schauspielhaus / Regie: Urs Schaub

Regine Eisenzart Fritschi, hinsinkend vor Naomi Krauss: der Triumph des echten Spiels falscher Gefühle

Wahrscheinlich ist diese Komödie wieder aus besetzungstaktischen Gründen (grad fünf Rollen) auf die Bühne gekommen, und eigentlich geht uns dieser Rokokodichter nicht viel an. Pierre Carlet de Marivaux (1688 — 1763), das war, so lehren uns die Literaturgeschichten, der Erfinder der „Marivaudage“, der selbstverliebten Rede aus pointierten Repliken und schillernden Ironien; der Dramatiker, der nicht mehr wie Molière die Konflikte der Gesellschaft, sondern die unendliche Verführbarkeit des Individuums thematisierte; Dichter des müde, pervers und raffiniert gewordenen Zeitalters vor der Revolution, in dem sich die Welt, von Versailles bis zum letzten Dorf mit Theater füllte und zum Theater wurde. Marivaux, das hieß für mich, eine allzu künstelnde Kunst erwarten, und - mit Lessing — einen „allzu gesuchten Witz“ und eine mechanische „metaphysische Zergliederung der Leidenschaften“.

Der Schweizer Regisseur Urs Schaub, der am Sonntag im Bremer Schauspielhaus Marivauxs

Frau im

weißen

Kleid

+ Mann

Komödie „Die falsche Zofe“ herausbrachte, hat die Falle gesehen und jedes Rokokoklischee gemieden. Er hat den zynisch-prickelnden Marivaux in ein sehr erdiges Gewand gesteckt. Schon das Bühnenbild ist Programm, selbst wenn die Beschränkung auf den Hinterhof des Lustschlößchens, den das Programmheft zeigt, sich weniger dem Stilwillen verdanken sollte, als einem Sparwillen, der die Opulenz der platzhirschlichen Produktionen mit rabiatem Sparwillen gegenüber revierfremden Regisseuren ermöglicht.

Das Bild ist recht, wir sind im Wald, fast, die Bühne ist ausgeschnitten aus einem einigermaßen rohen Palisadenzaun. Hinter der Rampe liegt ein Teich, gefüllt mit aqua naturale, der zu überqueren oder zu umrunden ist auf den nämlichen rohen Brettern. Unter diesen gähnt das natürliche Element. Alle Kunst der Selbstkontrolle und des aufrechten Ganges dient dazu, nicht planschend zu ersaufen in der Amoralität der Natur, die nur sehr bornierte Ökologen als „Umwelt“ von der

Innenwelt getrennt halten.

Und so „natürlich“ wie das Bühnenbild, so quasinaturalistisch, so frisch, so elementar sind die Leidenschaften, die sich in ihm aussprechen. Ich muß hier in Ihrem Interesse, liebe Leser, davon absehen, auch nur den Versuch einer Nacherzählung zu wagen, wer wen warum gegen wen anschmachtet und bloßstellt. Aber es ist so: Sie sehen Naomi Krauss, ein blutjunges Mädchen mit großen Augen und einer Stimme über zwei Oktaven, als Chevalier ins aufspritzende Wasser springen und ihr Herz der wunderschönen, eisenzarten Regine Fritschi, die am Vorabend noch die „Meinhof“ getanzt hat, zu Füßen legen, und Sie sehen, daß Naomi in den Hosen einer Chevaliers-Rolle steckt und Sie wissen, daß sie die Gräfin nur rumkriegen will, um außer deren Verführbarkeit auch den blanken Zynismus des gräflichen Liebhabers Lelio (Soeren Langfeld) ans helle Tageslicht zu bringen, alles also erstunken und erlogen, alles eben Theater, und dennoch alles echt. Sie halten zwischendurch sogar für möglich, daß sich der Chevalier tatsächlich verliebt hat, obwohl er eine Sie ist, und wenn er / sie Ihnen noch einmal versichert, daß seine Liebesschwüre nur „unsinniges Geschwätz“ sind, dann ist eben dieses echt, wie die Lust am Schau- Spiel. Und Schau-spiel ist die echte Lust an der Verführung, die durch das echte Zurschaustellen falscher Gefühle bewirkt wird.

Gesagt, was gesagt werden muß, ist noch nicht halb, und doch muß ich hier enden. Also: Marivaux macht nicht von alleine fraux, in Urs Schaubs Bremer Inszenierung ist er durchaus auxhaux. Auch wenn der Weg Regine Fritschis von der Tänzerin zur Schauspielerin noch lang ist und der laurel&hardyeske Arleqin von Lutz Herkenrath ein Fehltritt der unverzeihlichen Sorte. Die lebaft-prickelnde Säure der Marivaudagen, kalt und lebhaft serviert wie ein guter Jahrgang, die Trockenheit von Langfelds Oberzyniker Lelio, Thomas Meinhardts königlicher Schnorrosoph Trivellin und vor allem Naomi Krauss in der Titelrolle, eine Entdeckung aus theatralem Urgestein und eine, von der Sie noch hören werden, Sie werden's sehen! Uta Stolle