Gute Onkels an der Technik

■ »Kraftwerk« in der Weißenseer »Halle«

Daniel Düsentrieb hat ein kluges Glühbirnenmännchen, das ihm mit Rat und Tat zur Seite steht. Wahrscheinlich hat er das Helferlein selbst einmal gebaut, und nun mögen sie sich. Seitdem findet der Prometheus mit dem Papageienschnabel im Verbund mit seinem kleinen Metallgeschöpf einen Haufen tolles Spielzeug für Onkel Dagobert und Kommissar Hunter, nie für Geld, sondern immer nur aus Liebe zum Objekt. Wichtig ist allein, daß es funktioniert.

Nach zehnjähriger Bühnenenthaltsamkeit haben sich Kraftwerk noch einmal selbst erfunden und gebaut und sind mit ihrer Show da angekommen, wo man sie in den siebziger Jahren erwartet hatte: in der Zukunft. Dafür wurden sie von unzähligen Mitangereisten aus aller Welt in der riesigen Weißenseer »Halle« frenetisch jubelnd empfangen und bekreischt wie eine Teenieband. Vor ein paar Wochen war das Konzert zunächst ausgefallen, angeblich weil zuviel Staub in der Gründerzeit-Industriekapitale die sensible Computertechnik gefährdet hatte. Viele Jungs, die extra aus Gelsenkirchen oder Düsseldorf gekommen waren, hatten unverrichteter Dinge wieder heimfahren müssen, aber alle kamen sie wieder. Im wunderbar scharf konturierten Neonlicht stimmten die Pioniere des Techno-Sounds ein Potpourri rund um den Computer mit »Zahlen« beginnend an, das von einer Vielzahl elektronischen Bildmaterials in vierfacher Videoprojektion begleitet wurde. Die alten »Lieder« hatten sie vorher einer digitalen Frischzellenkur unterzogen und mit neuer Sampling-Technologie bleepender, clonkender und kantiger gestaltet. Zwischen smart und hart donnerte, krachte, wummerte, boingte und zaponkte es im Kopf. Sanft wogten die minimalistischen Melodien von Klingglöckenklängen getragen dagegen. Der naive Singsang von einst, der melancholische Geschichten vom nicht mehr ganz so ungebrochenen elektronischen Glück erzählt, paßt immer noch.

Der Onkel schenkte dem Neffen zu Weihnachten Fischer-Technikbaukästen. Froh spielte der Kleine, vergaß die anderen Kinder und überspielte die Komplikation sexuellen Erwachens. Ein paar andere Jungs spielten mit. Zwei, also Florian Schneider und Ralf Hütter, blieben übrig, und aus den Neffen sind gute Onkels geworden, die dem unbedingten Ja ihrer Kindertage zuweilen ein kleines Nein untermischen (»Stopp Radioaktivität« heißt es neu zusammengesampelt nun), die mit rasenden Bildern von Loks und Tunnels in Schwarzweiß augenzwinkernd nicht nur an die Frühzeit der Technik, sondern ironisch auch die Ursprungsgeschichten der Psychoanalyse erinnern möchten. Was damals an begeisternden Macken jedoch der Kleinfamilie im Großbürgertum vorbehalten war, was der reiche Onkel nur dem armen Neffen schenken konnte, ist inzwischen Allgemeingut geworden.

Die Musiker, deren Konzept es schon früher war, hinter ihren Maschinen zu verschwinden, verschwinden tatsächlich ein Stück lang (»Wir sind die Roboter«), um vier Mensch-Maschinen das Feld zu überlassen, die mit künstlichen Gliedern die Musik kontrollieren. Die Roboter wirken ein paar Minuten lang fast verletzlicher als die Menschen und vollführen asketisch, was Oskar Schlemmer von seinem triadischen Ballett einmal erwartet haben mag. Manchmal stellt man sich vor, sie würden sich spielerisch wie der »Terminator« das Gesicht aufreißen; dann kommen die Kraftwerker zurück und ganz nah ans Publikum: Musikanten mit Taschenrechnern in der Hand. »Musikmachen kann jeder«, ruft Florian Schneider und drückt einem Zuschauer den Musik- Controller in die Hand. Der spielt genauso begeistert mit dem Knöpfchen, wie es die Band seit nunmehr 23 Jahren macht. Daß Musik herauskommt, ist der Technik zu verdanken. Und die daran angeschlossenen Menschen sind auch keine schlechten. Kuhlbrodt/Fricke