Fast wie ein Film

■ »Die Schöne und das Tier« von Jean Cocteau im »Kama«-Theater

Leise kriecht das »Tier« durch die dunklen Gänge seines Schlosses, zitternd erwartet ihn die »Schöne«. Unsichtbare Diener versuchen sie aufzumuntern — aber sie ist krank vor Heimweh nach ihrem Vater und vor Angst dem unbekannten, häßlichen Geschöpf gegenüber. Bis sie sich in ihn verliebt...

Die Eröffnungspremiere von »Kama« (erstes berliner musicalisches privattheater«) wagt sich auf ein Terrain, das so gut wie tabu ist im (Off-)Theatergeschehen: Die Welt des Pathos. Kein ironisierendes und Distanz schaffendes Pathos, sondern reine Emotionen, die den Zuschauer einhüllen, in ihren Bann ziehen und mitleiden lassen. Ein Effekt, den man sonst fast nur vom Film kennt.

Ein Film ist auch die Vorlage zu dieser Bühnenproduktion: der 1946 gedrehte Klassiker Die Schöne und das Tier von Jean Cocteau. Joachim Nottke von Kama hat die zweistündige Bühnenfassung erarbeitet; herausgekommen ist ein Märchen für Erwachsene, das mit wenigen Mitteln Spannung erzeugt und räumliche Vorstellungen in die Köpfe der Zuschauer projiziert.

Zu Beginn ein Standbild: Die Schwestern Felicie (Elisabeth Günther) und »Schöne« (Dorette Hugo), Töchter eines verarmten Kaufmanns (Andreas A. Thieck), unterhalten sich mit ihrem Bruder und dessen Freund Avenant. Die Typisierungen der Figuren sind eindeutig, die »Schöne« ist nicht nur äußerlich ansprechend, sondern besitzt das sprichwörtliche »gute Herz«. Ihre Schwester dagegen, neidisch und intrigant, geifert nach einer guten Partie. Der Vater versucht die finanzielle Misere abzuwenden und begibt sich auf eine längere Geschäftsreise. Erfolglos muß er den Heimweg antreten, hungrig irrt er durch einen finsteren Wald und gelangt zu einem einsamen Schloß. Auf der bislang leeren Bühne steht nun ein gedeckter Tisch, ein prächtiges Zimmer wird angedeutet, der Bewohner hält sich fern. Großartig, wie jetzt eine fast unerträgliche Spannung entsteht: Musik setzt wie im Film als Katalysator ein, der Vater kann noch in Ruhe essen, zwei Hände bedienen ihn, deren Besitzer unsichtbar sind. Doch als er sich wieder auf die Heimreise begibt und von einem verwunschenen, lebendigen Rosenstrauch einen Zweig für seine schöne Tochter abbricht, ist die Geduld des Schloßherrn am Ende — ein schemenhafter gebeugter Schatten nähert sich, das »Tier« mit verfilzten Haaren und klauenartigen Händen (Tim-Owe Georgi). Knurrend und heiser verlangt es ein Opfer, das Leben des Rosenschänders oder eine seiner Töchter. Die »Schöne« nimmt die Strafe an.

»Wenn der Film Gefallen findet, verdanke ich es Dir. Denn die Präsenz des Biestes ist sein tragender Pfeiler...« schrieb Cocteau während der Dreharbeiten an Jean Marais, seinen Hauptdarsteller. So ist es auch bei Kama: Tim-Owe Georgi schafft es — ohne dabei ins Lächerliche abzurutschen — seinem »Tier« eine furchteinflößende Grandezza zu verpassen. Zitternde »Nüstern«, das Knurren, die heisere Stimme — egal, ob man das Ende kennt oder nicht, ist man gefangen von seinem traurigen Schicksal. Wenn er auf allen vieren kriecht, begleitet von der untermalenden Musik (J. Nitzsche/C. Pittius) und dem schauerlich-atmosphärischen Licht von Jürgen Dormann entsteht ein imaginäres Bild von dunklen Verliesen, feuchten Wänden und Einsamkeit, das in starkem Kontrast zu der Wärme steht, die die »Schöne« in sein Leben bringt. Das »Tier« enthüllt ihr seine Schätze: verzauberte Tänzer, den wunderschönen Garten und seine Seele. So simpel und doch so effektiv — die liebevolle Inszenierung von Katja Nottke lullert den nur allzu willigen Betrachter ein und versetzt ihn in eine Traumwelt.

Warum aber dann die vernichtende Pause nach anderthalb Stunden? Dieses brutale Zurückreißen in die profane Realität? Mühsam erkämpft man sich ein Getränk und muß wohl oder übel dem Geschnatter der Umstehenden lauschen. Der Zauber ist gebrochen, der dramaturgische Faden hat einen großen Riß bekommen. Von null auf hundert sind die Emotionen auf der Bühne zwar wieder vorhanden, nur — herausgerissen aus seinem Kontext — wirkt das Liebesgeständnis der »Schönen« allzu rührselig. Die wahre Begeisterung will sich nicht mehr einstellen, wenn das »Tier« sich durch die reine Liebe in einen schönen Prinzen verwandelt. Was im Film Tausende zu Tränen rührte, widersetzt sich hier jeglicher Gefühlsäußerung. Da nützt es auch nichts, daß das Ensemble noch einmal tief in seine Trickkiste greift und neue Überraschungen zutage fördert.

Und das ist schade, denn dieser Auftakt eines neuen Theaters appelliert mutig an romantische und sentimentale Regungen einer Zuschauerschaft, die sich genau diese Reaktionen abgewöhnt hat. Die paar Mark Zugewinn aus dem Getränkeverkauf machen den Verlust an Intensität nicht wett. Anja Poschen

Die Schöne und das Tier spielt Di bis So im Kama-Theater, Schwiebusser/ Ecke Friesenstraße.