Trauriger Höhepunkt-betr.: "Demo gegen längere Arbeitszeit", Kurzmeldung, taz vom 14.11.91

betr.: »Demo gegen längere Arbeitszeit« Kurzmeldung, taz vom 14.11.91

Als gewerkschaftlich interessierter und engagierter Lehrer kann und muß ich mit Eurer Berichterstattung zum Themenkomplex »Bildung, Schule und Erziehung« im allgemeinen nur sehr unzufrieden sein. Ich stelle immer wieder fest, daß ihr auf diesem Sektor nicht präsent seid, wenn, dann den Geschehnissen hilf- und konzeptionslos hinterherhoppelt und -schreibt. [...] Einen traurigen Höhepunkt in der Negativberichterstattung erklomm die Lokalredaktion in den letzten Tagen. Am 12.11. finden in 19 Berliner Bezirken, also in Ost und West, zeitgleich während(!) der Arbeitszeit Personalversammlungen der LehrerInnen und ErzieherInnen statt (schon allein dies ist ein politischer Erfolg und ein Signal, wofür die taz natürlich überhaupt keinen Riecher hat), an denen sich ca. 20.000 KollegInnen beteiligen. Ca. 10.000 von ihnen marschieren anschließend zum Roten Rathaus und demonstrieren gegen die vom Senat geplante Arbeitszeitverlängerung für LehrerInnen und gegen die sonstigen Sparmaßnahmen, zum Beispiel im Kita-Bereich.

Mein gieriger Blick in meine einzige Abonnement- Zeitung am 13.11.91 enttäuscht mich nicht schlecht — nicht eine Zeile davon in der taz, kein Foto, gar nichts. Nun ja, ich bin nachsichtig und geduldig mit meiner Zeitung, ganz im Gegensatz zu dieser mit mir und meinesgleichen, kaufe zusätzlich den 'Tagesspiegel‘ und die 'Berliner‘ und warte auf den nächsten Tag, weil ich versöhnlich denke, daß »meine« Zeitung es wegen des frühen Redaktionsschlusses ja vielleicht nicht mehr geschafft hat. Doch am nächsten Tag kommt der Hammer: wieder nichts wäre ja noch besser gewesen, als diese lieblosen, dahingeschlampten und zum Teil noch inhaltlich falschen 54 (in Worten: vierundfünfzig!) Wörter. Aus dem GEW-Vorsitzenden Erhard Laube (er ist ja nicht erst seit gestern Vorsitzender und ganz unbekannt) macht die taz einen »Erhard Luhe«, aus der gemeinsamen Demonstration aller Lehrergewerkschaften und -verbände, also auch der konservativen, macht die taz eine reine GEW-Veranstaltung: zwei glatte Fehlinformationen in zwölf Zeilen!

Über die zuvor stattgefundenen Personalversammlungen nichts, nichts über die Forderungen, keine Einschätzung der Besonderheit des Ereignisses (bildungspolitischer Schulterschluß gegen die Große (Spar-)Koalition; ein möglicher Beamtenstreik leuchtet am kommenden Berliner Frühlingshimmel auf — es wäre die erste Morgenröte dieser Art in dieser Stadt). All dies erfährt der/die taz-LeserIn nicht — auch nicht der/die in anderen Bundesländern.

Fazit: Um in Berlin in seinem/ihrem Metier auf dem laufenden zu sein, braucht der Lehrer und die Lehrerin außer der taz noch eine weitere Lokalzeitung.

Die west- und ostdeutschen LehrerInnen erfahren über die unter Umständen wegweisenden Vorgänge in Berlin (die Sparmaßnahmen im Bildungsbereich sollen hier probeweise für andere Bundesländer ausprobiert werden, aber die taz merkt dies nicht, sie hat wiederum keinen Riecher für solche Vorgänge) nichts. [...] Die einzige Überregionale aus Berlin (werbt ihr nicht so?) kommt ihren Aufgaben nicht nach. Eugen Bühler, Berlin 10