Ein "Rechtsruck" und viel Nebel

■ Das belgische Wahlergebnis steht in europäischem Kontext

Ein „Rechtsruck“ und viel Nebel Das belgische Wahlergebnis steht in europäischem Kontext

Führt das Ergebnis der belgischen Parlamentswahlen nun zu einem erschrockenen Rauschen im Blätterwald? Die Ingredienzen stimmen alle: Gewinne der Rechten, Verluste der Regierungskoalition, ein Triumph aus Xenophobie und Irrationalität — dieser Marschrhythmus böte sich dem Kommentatoren-Unisono als vielerprobter Takt an, wie vor Wochen in Wien und wie jetzt wohl regelmäßig bei Wahlen in Westeuropa. Doch auf die eigentlich wichtige Frage — warum stimmen immer mehr Wähler in Europa für Rechtsparteien? — gibt es bisher keine fundierten Antworten.

In zwei Wochen werden die zwölf Mitgliedsstaaten der EG in Maastricht zusammentreffen, um den Grundstein zu einem Prozeß zu legen, der eine gemeinsame Währung und eine politische Union als Ziel hat. Daran werden letztendlich alle Querelen im Vorfeld nichts ändern, auch wenn es noch zu Verzögerungen kommen sollte. Über 80 Prozent der Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten, so haben findige Köpfe bereits ausgerechnet, gehen dann von den Gremien der EG aus — außerhalb demokratischer Kontrolle und fern jeder demokratischen Legitimation. Wer heute als Staatsbürger Politik zu machen versucht — Politik nicht als Karriere in einer politischen Partei, sondern im ursprünglichen Sinne der eigenen Interessenvertretung und der darauffolgenden Einmischung in öffentliche Angelegenheiten —, dessen staatliches Gegenüber sitzt bereits jetzt immer häufiger in Brüssel. Der sogenannte „Nationalstaat“ fungiert als Zwischenglied. Dieser Zustand wird sich spätestens mit der Vollendung des gemeinsamen EG- Binnenmarktes zum 1. Januar 1993 noch festigen.

Welcher politikfähige Staatsbürger soll dann noch ein Interesse haben, der Wahl nationalstaatlicher Regierungen fundamentale Bedeutung beizumessen? Die politische Bühne ist längst weitergezogen. So sind die Parteien, die in Europa in den letzten Jahren aufsehenerregende Ergebnisse erzielten, solche, die die EG zum Zentrum ihres politischen Horizontes machen — entweder, um sie abzulehnen, oder aber, um sich grundsätzliche Gedanken über ihre Weiterentwicklung zu machen. Von Rechten bis Grünen ist ihnen zudem die Gegnerschaft zum europaweit herrschenden Block aus Christ- und Sozialdemokraten gemein, der sich als Nebelwerfer bei der Bildung neuer europaweiter politischer Horizonte betätigt.

Solange die regierenden Politiker Europas noch immer die Illusion der eigenen Macht im Rahmen nationalstaatlicher Souveränität verbreiten, brauchen sie sich nicht zu wundern, wenn die Wählerschaft sie beim Wort nimmt und für die schönsten Illusionisten stimmt. Die Notwendigkeit, von nationalen Träumen öffentlich Abschied zu nehmen, wird vom momentanen „Vormarsch der Rechten“ nur unterstrichen. Um ihn zu stoppen, muß sich der politische Streit endlich dorthin bewegen, wo sein Gegenstand sich bereits befindet — in den Gestaltungsrahmen europäischer Politik. Dominic Johnson