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: Geordneter Aufstieg

■ Trotz Schäuble braucht die Union dringend neue Köpfe

Kennen Sie Friedrich Bohl? Sie sollten, irgendwann in den späten neunziger Jahren müßte er deutscher Innenminister sein. Denn Helmut Kohl scheint beim Personal nun auf das Gesetz des geordneten Aufstiegs zu setzen. Bohl, CDU-Abgeordneter aus Hessen und bislang Parlamentarischer Fraktionsgeschäftsführer, steigt jetzt nämlich zum Kanzleramtsminister auf und folgt damit Rudolf Seiters, der Innenminister wird und in diesem Amt Wolfgang Schäuble ablöst. Der wiederum übernimmt nach den Karrierestufen Parlamentarischer Fraktionsgeschäftsführer, Kanzleramt und Innenressort den Fraktionsvorsitz der Union. Bemerkenswert ist allerdings, daß Kohl bei dieser nicht sehr einfallsreichen Art, die Union personell zu erneuern, doch wieder das Glück auf seiner Seite hat.

Noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl von 1994 geht der Vorsitz der Unionsfraktion in die Hände eines Mannes über, dem zuzutrauen ist, der farb- und gesichtslosen Fraktion wieder Profil zu geben. Seine wichtigste Aufgabe wird dabei vermutlich nicht darin bestehen, mit dem Oppositionsführer um die besten Reden zu wetteifern oder das politische Gewicht der Fraktion gegenüber der Regierung auszureizen. Schäuble wird durchsetzen müssen, was mit seiner Wahl nur eingeleitet ist: Die Union braucht bis zur Bundestagswahl dringend neue Köpfe.

In einer Partei, die seit fast zehn Jahren regiert, sieht es mit dem Personal meist schlecht aus. Die Union ist in den Ländern ausgelaugt, und weil einer wie Kohl ihr vorsitzt, ist die Parteizentrale von eigenwilligen Leuten entblößt. Von den politischen Größen aus der ersten Legislaturperiode der Union ist keiner mehr als potentieller Nachfolger des Kanzlers übriggeblieben. Albrecht, Späth, Blüm, Töpfer sind zurückgetreten, gestolpert oder verbraucht. Geißler stürzte nach dem mißglückten Versuch, Kohl aus dem Amt zu hebeln. Die Regierungsmannschaft wirkt geradezu verstaubt: siehe Stoltenberg, Riesenhuber, Schwarz-Schilling.

Doch Personen, Persönlichkeiten sind für die Volkspartei CDU tausendmal wichtiger als jeder Beschluß, jedes Positionspapier. Weil die Länder — jedenfalls für den nächsten Bundestagswahlkampf — einfach zu schwach bestückt sind, wird die Fraktion als wesentliches Kräftezentrum der CDU für personelle Auffrischung sorgen müssen. Schäuble, soweit hat Kohl Glück, bringt vermutlich genug Energie und Ehrgeiz mit, die eingefahrene Fraktion der Regierungspartei, in der Ämter und Ränge in festen Händen sind, durchzuforsten.

Aber mehr? Das „Frauenprogramm“, mit dem die CDU 1985 alle Welt verblüffte, hieß Rita Süssmuth, die „neue soziale Frage“ hieß Biedenkopf, Blüm, Geißler. Personelles Profil dieser Art hat Kohl in den letzten drei, vier Jahren systematisch verstoßen. Personalpolitische Überraschungscoups à la Merkel können das nicht wettmachen und mißglücken gelegentlich. Auch Schäuble, der sehr gute Verwaltungspolitiker, ist bisher nicht durch Vorliebe zum Diskurs mit unkonventionellen Unionspolitikern aufgefallen. Tissy Bruns