Kandidat der Rechten wird Sejmmarschall

 ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

In Warschau ist am Montag zum ersten Mal nach dem Krieg ein völlig frei und demokratisch gewähltes Parlament zusammengetreten. Präsident Walesa würdigte aus diesem Anlaß den jahrzehntelangen Kampf der demokratischen Opposition um einen demokratischen, souveränen und marktwirtschaftlich orientierten Rechtsstaat. Anwesend waren auch Vertreter der bisherigen Exilregierung in London, Primas Glemp, Vertreter der nichtkatholischen Kirchen und des diplomatischen Corps. Zum Sejmmarschall wählte der Sejm mit 267 Stimmen den bisherigen Justizminister Wieslaw Chrzanowski, Parteiführer der „Christlich Nationalen Vereinigung“.

Die bisherige Sejmmarschall- Stellvertreterin Olga Krzyzanowska, die von der Demokratischen Union aufgestellt worden war, erhielt 129 Stimmen, der Kandidat der Polnischen Bauernpartei, Jozef Zych, dagegen nur 62. Die Wahl des Sejmvorsitzenden stellte eine Art Generalprobe für die Fünferkoalition dar, die von Walesa die Ernennung des Anwalts Jan Olszewski zum Premier erreichen möchte. Walesa hat dies bisher abgelehnt und Prof. Geremek, den Vizechef der Demokratischen Union, mit der Regierungsbildung beauftragt. Dieser mußte seine Mission allerdings aufgeben, weil er keine Koalitionspartner fand. Die Koalition aus fünf rechtsgerichteten Parteien, den Liberalen, dem Zentrum, der „Bauernverständigung“, der Partei Chrzanowskis und der „Konföderation Unabhängiges Polen“, wußte bisher allerdings keine absolute Mehrheit im Sejm hinter sich. Ein Sprecher des Präsidenten hatte daher erklärt, Walesa warte mit der Ernennung eines Regierungskandidaten auf das Ergebnis der Abstimmungen der ersten Sitzung. Diese ist nun für die Koalition überraschend gut ausgegangen.

Olszewski hat unterdessen erklärt, er wolle nicht zum Stein des Anstoßes zwischen Präsident und Parlament werden und sei bereit, eventuell seine Kandidatur zurückzustellen. Die Liberalen haben unterdessen erkennen lassen, daß sie nicht nur Olszewskis Kandidatur unterstützen. Die Danziger Parteiorganisation hat die Abgeordneten der Partei inzwischen aufgefordert, die Kandidatur des bisherigen liberalen Premiers Bielecki offiziell anzumelden. Die Liberalen sind bisher der unsicherste Kantonist in der Fünferkoalition, da sie im Gegensatz zu den anderen Partnern nicht mit der bisherigen Wirtschaftspolitik brechen wollen. Ein diesbezügliches Expertentreffen der Fünf blieb bereits ohne Ergebnis.