Verfassungsschützer uneins

■ Behörden schätzen die Gefahr durch rechtsextremistische Umtriebe unterschiedlich ein/ Der Kölner Verfassungsschutz zählt 600, das BKA in Wiesbaden 1.800 Straftaten

Berlin (taz) — Verfassungsschützer uneins: Während das Kölner Bundesamt seit Wochen und Monaten besonders vor den Gewalttaten neonazistischer Skinheads im Osten Deutschlands warnt, wiegelt die hessische Landesbehörde ab. Für den Abteilungsleiter der Wiesbadener Behörde, Lutz Irrgang, steht fest, daß hinter den aktuellen rassistischen Ausschreitungen und Übergriffen gegen Ausländer „so gut wie keine organisierten rechtsextremistischen Gruppierungen“ stehen. Bei der Mehrheit der Tatverdächtigen, so Irrgang gegenüber der 'Welt‘, handele es sich überwiegend um sehr junge und meist in der Nähe des Tatorts wohnende Leute, die in der Regel alkoholisiert gegen Ausländer vorgegangen sind. Der Anteil von Neonazis unter ihnen ist nach den Ausführungen des hessischen Verfassungsschützers „sehr gering“.

Zu einer anderen Einschätzung kommt die Abteilung Rechtsextremismus beim Kölner Bundesamt. In einer Analyse vom Oktober heißt es: „Die politisch motivierte Gewalt geht in Ostdeutschland überwiegend von Rechtsextremisten aus und zwar von Neonazis, insbesondere neonazistischen Skinheads.“ Während Hessens Irrgang die Auffassung vertritt, daß die Versuche der westdeutschen Rechtsextremisten, in den neuen Bundesländern Fuß zu fassen, gescheitert sind, urteilen die Kölner Kollegen: „Auf jeden Fall (ist) die Feststellung gerechtfertigt, daß das neonazistische Gewaltpotential in der ehemaligen DDR quantitativ und qualitativ gefährlicher ist als in Westdeutschland.“

Auch die Anzahl der registrierten Gewalttaten differiert in den Angaben zwischen Köln und Wiesbaden. Das Kölner Amt zählte bis Ende September insgesamt über 600 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. Das Bundeskriminalamt spricht aber sogar von 1.800 Straftaten, die sich gegen Ausländer und ihre Einrichtungen richteten. Die Hälfte davon wurde allein im Monat Oktober verübt. BKA-Chef Zachert sieht zwar gegenwärtig „keinen Zuwachs“, befürchtet aber eine Stagnation „auf hohem Niveau“. Wolfgang Gast