Generalamnesie bei Stasi-Majoren

Im Mauerprozeß wollen sich Zeugen an nichts erinnern/ Stasi-Freunde unter Zuhörern  ■ Aus Berlin Thorsten Schmitz

Sie winden sich und stellen sich doof. Sie arbeiteten in exponierten Stellungen und haben nichts gewußt. Ihre Erinnerungen sind immer dann lückenhaft, wenn es interessant wird. Die Rede ist von ehemaligen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR, die im Prozeß um den Tod des Chris Gueffroy als Zeugen gehört werden.

Die Liste der bereits angehörten und der noch anzuhörenden Stasi- Mitarbeiter ist lang — viel gebracht haben die Anhörungen nichts, viel mehr bringen werden sie auch nicht. Selbst die Nachrichtenagenturen bieten ihren Kunden nach nunmehr 18 Verhandlungstagen nur noch drögste Schmalkost: „Im Mauerschützen- Prozeß vor dem Berliner Landgericht haben Zeugen keine weiteren Einzelheiten zum Tod von Chris Gueffroy nennen können.“

Die vier ehemaligen Grenzsoldaten, die seit dem 2. September im Moabiter Gerichtssaal 700 sitzen und auf einen Urteilsspruch warten, sind zu Statisten geworden; ihre Rolle ist nicht mehr gefragt.

Dietmar Büttner — einst Mitarbeiter der militärischen Abwehr im Grenzregiment 33, das dem MfS unterstand — bewies gestern aufs neue, wie schnell sich „vergessen“ läßt. Noch in der Nacht zum 6. Februar 1989 war er zum „Ereignisort“ nach Berlin-Treptow gerufen worden — mit dem Auftrag, das „Stimmungsbild“ innerhalb der Grenztruppe zu sondieren. Das Gericht unter Vorsitz von Theodor Seidel, Staatsanwalt Herwig Großmann und die Verteidigung beißen sich die Zähne aus an Büttner. Zwar hat er das Stimmungsbild „koordiniert“, wie er sagt, aber vom „Ergebnis“ will er nichts erfahren haben. Zwar war er auch dafür verantwortlich, „die Sicherheit zu gewährleisten“, aber welche und wozu und für wen: Blackout.

Kurz vor der Mittagspause rufen Zuhörer dem Verteidiger Lutz Spangenberg zu: „Die Stasi schreibt mit!“ Ein Herr im Zuschauerraum habe die Anhörung von Büttner protokolliert, „mindestens fünf Seiten“. Daß ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit den Prozeß mitverfolgen, wenn ihre Kollegen gehört werden, hat offenbar Methode. Bereits am 16. Verhandlungstag hatte das Gericht beschlossen, einen Ex-Stasi-Major wegen Falschaussage zu belangen.

Der Zeuge, unter dem Decknamen „Jäger“ einst Mitarbeiter der militärischen Abwehr, hatte zugegeben, in der Prozeßpause mit seinem ehemaligen Vorgesetzten geredet zu haben. Das Gespräch sei eher privater Natur gewesen und nur „beiläufig“ zum Prozeßinhalt geführt worden. Später aber stellte sich heraus, daß „Jäger“ seinen ehemaligen Vorgesetzten über dessen vorangegangene Aussage befragt hatte.

Bekannt wurde außerdem, daß ein Freund von Berger, der früher ebenfalls für die Stasi gearbeitet hat, unter den Zuhörern im Gerichtssaal weilte. In der Mittagspause hatten sich die drei ehemaligen Kollegen zum Spaziergang getroffen.