INTERVIEW: „An Aids gestorbene Prominente erleichtern die Diskussion“
■ Der Berliner Kabarettist Günther Thews („Die Drei Tornados“), aidskrank und guter Dinge, über Freddie Mercurys Sinn für das richtige Timing
taz: Freddie Mercury ist tot.
Günther Thews: Ja, daran kann man erkennen, daß er ein echter Kollege aus dem Show-Biz war. Er hatte eine Fähigkeit, an der du jeden Weltstar erkennst: Er hatte Sinn für Timing. Am nächsten Wochenende ist Welt- Aids-Tag, und da hat er sich rechtzeitig, um alle Augen darauf zu richten, ein paar Tage vorher in einen anderen Zustand verwandelt.
Das klingt gar nicht traurig?
Nein, darüber freuen wir uns alle. Also der Weltverband der Aidskranken im zweiten Stadium, Abteilung West-Berlin, Sektion Kreuzberg, ist sehr glücklich, daß wieder eine Verwandlung stattgefunden hat. Einen Tod gibt es doch gar nicht. Freddie Mercury ist mehr denn je anwesend. Und er konzentriert die Aufmerksamkeit auf Aids. Das ist der Banach-Effekt.
Du meinst den Fußballstar Maurice Banach, der gegen einen Brückenpfeiler raste?
Weil ein Reifen geplatzt ist. Und plötzlich erinnert sich die ganze Republik wieder daran, ihre Reifen zu kontrollieren. Die Stars spielen Stellvertreter. Wenn Kanzler Kohl was an der Prostata hat, erscheint sie im Querschnitt im Bild, und die halbe Republik kümmert sich mal wieder um ihre Prostatas. Nur Kohl sagt, als er das Bild sieht: Das ist nicht meine, das ist der Rühe. Aber im Ernst: bei Aids funktioniert es genauso.
Also Freddie Mercury stirbt stellvertretend für Freddy Müller, wie darf ich das verstehen?
Warum soll es denn dem Immunsystem von Freddie Mercury besser gehen als dem Immunsystem von Mutter Erde. Wenn es stimmt, daß sich die Welt im menschlichen Dasein spiegelt, dann mußt du dir nur die Welt angucken und weißt, wie es im Innern von Freddie Mercury ausgesehen haben muß.
Du glaubst nicht an die Virus-Theorie?
Also, ich habe mir Aids nicht in Toms Dunkelkammer oder sonstwo geholt, sondern mir selbst ausgesucht. Aids ist eine Einsamkeitskrankheit — der normale Mensch, der einsam ist, sucht sich eine Krankheit, zum Beispiel Krebs, die ihn heraushebt. Der Schwule sucht sich eine Krankheit, die ihn noch einsamer macht, bei der es gar keine Rettung mehr gibt. Gerade Künstler, Stars, Leute, die aus lauter Liebesbedürfnis, weil sie Beifall, Streicheleinheiten wollen, jeden Abend woanders auf der Bühne stehen, gerade die sind oft besonders einsam.
Du machst aber gar keinen niedergeschlagenen, einsamen Eindruck...
Für mich ist die Krankheit ja auch eine äußerst positive Erfahrung. Ich bin glücklicher denn je. Du glaubst nicht, was es für ein Privileg ist, die ungefähre Stunde seines Todes zu kennen. Das sollte man anläßlich der Verwandlung von Mercury einmal deutlich sagen. Und weil eben anhand von Prominenten über etwas gesprochen werden kann, über das man sonst nicht spricht — den Tod —, erleichtern die toten Stars die Diskussion.
Und zu der willst Du auch beitragen?
Wie gesagt, ich bin überzeugt, das ich mir diese Krankheit ausgesucht habe, ein Virus ist da höchstens am Rande beteiligt. Das sagt doch auch Prof. Duesberg, die wissenschaftliche Opposition sozusagen: So einen Virus, der von sich aus Zellen angreift, gibt es einfach nicht. Diese ganze orthodoxe Medizin ist sehr weit von jeder Lösung entfernt. Wer seine Hoffnung auf Medizin setzt, wird so enttäuscht werden wie bei Krebs. Da sucht man schon seit hundert Jahren, und es gibt Hunderte von Krebs-Hilfen und anderen Vereinen, die haben ihre Reisebüros, eine richtige kleine Industrie. Wie auch die Aids-Hilfe, die die Leute — das muß man mal sagen — erstklassig betreut. Wirklich weiter kommen wir aber glaube ich erst, wenn wir Aids als Einsamkeits-Krankheit zu betrachten lernen. Alle Leute meinen ja noch, Einsamkeit sei etwas Negatives, noch schlimmer als Langeweile. Was aber an Energie, an Lebensphilosophie in der Einsamkeit steckt, ist gar nicht erkannt. Richtig einsam sein — das ist so etwas wie eine Erinnerung an die buddhistische Leere, aus der wir alle kommen. Die falsche Angst vor der Einsamkeit ist eine Art Sklaventreiber, sie treibt uns in die Aktivität. Mich hat sie auch jahrelang auf die Bühne getrieben, jeden Abend. Dabei habe ich alles vergessen. Mittlerweile versuche ich wieder, mit meinem Körper ins Gespräch zu kommen.
Inwiefern?
Na, wenn es irgendwo zwickt, ist das doch der Ausdruck von irgendetwas. Der Körper hat sich irgendwas anders gedacht als ich — das vergißt man leicht, daß ja nicht nur ich, das Gehirn denkt, sondern auch der große Zeh. Was also ist Freddie Mercury passiert? Eigentlich kann man nur mit einem seiner Kollegen, Karl Valentin, antworten: ,Da hab ich jahrelang Angst vor dem Tod gehabt, und dann das.‘ Interview: Mathias Bröckers
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