Klaus Kinski — der Irre vom Dienst ist tot

Wenn Klaus Kinski von sich selbst sprach, dann war meist Prahlschwanz Küchenmeister. Aber nicht nur in Sachen Sex gab sich der Akteur von über hundert Spielfilmen gigantomanisch, exzentrisch, verrückt — auch Regisseure, Interviewer und sein Publikum trieb er mit Vorliebe in den Wahnsinn. Kinski starb am Samstag in seinem Wohnort Lagunita bei San Francisco. Nachdem er nicht wie verabredet zu einem Familientreffen erschienen war, hatte ein Freund das Wohnhaus des Schauspielers aufgesucht und ihn dort leblos vorgefunden. Wie die Behörden erklärten, ist sein Tod auf natürliche Ursachen zurückzuführen.

Erst vor wenigen Wochen hatte der seine Exzentrik lustvoll auslebende Mime erneut von sich reden gemacht, als er in der 'Bild‘-Zeitung die Fortsetzung seiner skandalumwitterten Memoiren veröffentlichte. In einem Funkwerbespot wandte sich der 65jährige an die „lieben 'Bild‘- Leser“ und gestand brünftig: „Ich brauche Liebe.“ Sexmaniac, cholerischer Interviewpartner, schauspielerische Nutte, so präsentierte sich Kinski gerne in der Öffentlichkeit und trieb die Selbstdarstellung zum Höhepunkt mit der 1974 veröffentlichten, nach einem Villon-Gedicht benannten Autobiographie Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund, in der er freizügig sein abwechslungsreiches Geschlechtsleben schilderte und sich selbst als Begattungsathlet beschrieb.

Klaus Kinski wurde im Oktober 1926 in Sopot bei Danzig als Nikolaus Nakszynski geboren. 1931 zog die Familie nach Berlin, wo der Sohn in einem Heim untergebracht wurde. Schon während der Schulzeit mußte Kinski sein Unterhaltsgeld selbst verdienen — er arbeitete als Schuhputzer, Laufjunge und Leichenwäscher. 1944 wurde er eingezogen, geriet in den Niederlanden in britische Kriegsgefangenschaft und trat der Lagerbühne bei. Nach dem Krieg blieb er im Metier und betätigte sich als Kabarettist wie als Rezitator und gab sein Schauspieldebüt in Hauptmanns Die Ratten. 1949 spielte er in Cocteaus Ein-Personen-Stück Die menschliche Stimme die weibliche Protagonistin mit Perücke und im schwarzen Schlafanzug — und wurde von Polizisten wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses von der Bühne geholt.

Zwei Jahre zuvor hatte er in Atze Brauners erstem großen Filmprojekt Morituri erstmals vor der Filmkamera gestanden. In den sechziger Jahren baute Kinski seine Leinwandkarriere weiter aus und erschien in zahllosen Edgar-Wallace-Verfilmungen als bedrohlich-undurchsichtige Verbrechergestalt, ein Part, dessen Stereotypie ironisches Potential barg, was leider nur ganz selten genutzt wurde. Im Rahmen der damals üblichen europäischen Koproduktionen wurde Kinski auch in Italien populär. In Italowestern und anderen Genrefilmen sah man ihn, nicht anders als in Deutschland, vorwiegend als Schurke vom Dienst mit irrem Blick und dem Nimbus eines Psychopathen. 1965 lieferte er in Dr. Schiwago laut einer zeitgenössischen Kritik in der Rolle des Kostojed „eine Ausdrucksstudie von beklemmender Eindringlichkeit“. Das erfolgreiche Epos war eine Gemeinschaftsproduktion des Italieners Carlo Ponti mit dem US-Studio MGM und machte Kinski in Hollywood bekannt. Sein Hauptbetätigungsfeld blieb aber Cinecitta, wo er bis in die 80er Jahre hinein meist zweit- und drittklassige Filme wie am Fließband drehte. Eine herausragende Leistung lieferte er 1968 als Kopfgeldjäger in Sergio Corbuccis Il Grande Silenzio, in Deutschland Leichen pflastern seinen Weg betitelt. In den Filmen des deutschen Regisseurs Werner Herzog, in Aguirre, der Zorn Gottes, Nosferatu oder Woyzeck, konnte Kinski sein Können zeigen, nutzte aber Herzogs Begeisterung für seinen Hauptdarsteller hemmungslos aus und machte die Zusammenarbeit zu quälenden Erfahrungen, denen sich Herzog allerdings mit masochistischer Wonne regelmäßig von neuem unterzog.

Für seine cholerischen Ausfälle war Kinski seit langem berüchtigt. Wenn er sich auf der Bühne von hüstelnden oder raschelnden Zuschauern gestört fühlte, unterbrach er seinen Vortrag und ließ Schimpftiraden vom Stapel, die für sich schon das Eintrittsgeld wert waren. Auch ausländische Filmemacher hatten mitunter ihre liebe Not mit dem exzentrischen Mimen. So ließ er einmal einen spanischen Regisseur in sein Madrider Hotelzimmer kommen, um ihm per Dolmetscher zu vermitteln, daß er ihn für ein „nasebohrendes Arschloch“ halte.

Kurzweil boten stets seine Auftritte in deutschen Talk-Shows, die er allerdings nur unternahm, wenn ihn sein Vertrag zur Promotionarbeit verpflichtete. Aus den Gründen für sein Kommen machte Kinski nie ein Hehl, wie er überhaupt stets betonte, für gute Gagen jede Rolle anzunehmen, und sei sie noch so schlecht. Seine Interviewer trieb Kinski regelmäßig zur Verzweiflung. Er, der unbotmäßigen Journalisten und sogar Polizeibeamte schon mal mit einem kräftigen Tritt in den Hintern bedachte, mahnte seinerseits gern Höflichkeit und gutes Benehmen an. Unnachahmlich, wie er mit spitzen Fingern die weißblonde Mähne zurechtstrich und sich selbstgefällig als eitles Enfant terrible in Szene setzte. Diesem Mann war nicht beizukommen, schon gar nicht auf die schleimige Tour. Lobhudeleien auf sein schauspielerisches Vermögen kanzelte er ebenso ab wie dumme Fragen — und einem Kinski galt jede Frage als dumme Frage. Klaus Kinski war unleidlich, widerborstig und schwierig, aber auch unterhaltsam und fraglos ein großer Schauspieler. Man hätte ihn durchaus noch ein paar Jahre ertragen mögen. Harald Keller