Werner Kohn: "Verkehrszeichen"

Es gibt Fotografen, die sich einen eigenen Blickraum schaffen, einen Mikrokosmos — eine metaphorische Landschaft, ein ikonographisches Set. Die anderen Fotografen sind die Fetischisten, und die Sammler. Zu denen gehört auch Werner Kohn, der Verkehrsschilder in aller Welt fotografiert hat, ganze und kaputte, standardisierte und von Hand gemalte. In Spanien schleudert das Auto anders als bei uns und sieht überhaupt nach Spielzeugauto aus; das arabische Stopschild wirkt nicht so eigenartig, weil es das Wort in lateinischen und arabischen Lettern zeigt, sondern weil auf der etwas zu warmroten Farbe seltsame Flechten oder Nester kleben. Und natürlich sind Verkehrsschilder Belege naivster Malerei, des Menschenbildes in der jeweiligen Region: Die Schippe, die das salamanderköpfige Wesen in Indonesien trägt (um vor einer Baustelle zu warnen), hat etwas von einem Riesenlöffel oder einer Keule.

Solange Werner Kohn dieser eher scherzhaften Anthropologie folgt, ist sein jüngst erschienenes Buch Verkehrszeichen (Erich Weiß-Verlag, DM 49,80) mit Freude anzusehen. Wenn Kohn in den verwitterten „Zeichen“ mehr liest, als was sie sind: nämlich natürliches „Informel“, sind seine Bilder so mager pittoresk wie die meisten Kalender, die man in diesen Wochen wieder geschenkt bekommt. uez

16LITERATURMITTWOCH, 27.11.91