INTERVIEW
: Mehr Toleranz gegenüber Rassismus

■ Magda Aelvoet, Abgeordnete der flämischen Grünen im belgischen Parlament, zu den Konsequenzen der Wahlen

taz: Gewinner der belgischen Wahlen am Sonntag ist neben den Grünen in Wallonien der rechtsradikale flämische Block. Dessen Stimmengewinne, so heißt es, seien die Quittung für die verfehlte Ausländerpolitik der etablierten Parteien. Im Mittelpunkt der Schuldzuweisungen stehen dabei die Immigranten, obwohl sie nur ein Drittel der knapp 900.000 Ausländer in Belgien ausmachen. Werden diese jetzt zu den Sündenböcken des Wahldebakels gemacht?

Magda Aelvoet: Ja, man traut sich nur gegen die armen Ausländer vorzugehen. Mit den Reichen hat man viel weniger Probleme, obwohl gerade diese wegen ihrer höheren Einkommen viele Belgier sozial und kulturell diskriminieren. Andererseits stimmt es natürlich auch, daß die Integration von Immigranten in Belgien nicht gut läuft. Daraus ziehen nun viele Parteien die Schlußfolgerung, daß man den Immigranten gegenüber härter auftreten muß, anstatt endlich mit konkreten Integrationsschritten zu beginnen.

Innenminister Tobback fühlt sich an das Wahlergebnis von 1936 erinnert...

Ja, man sollte nicht übersehen, daß ein Teil der Stimmen für den Vlaams Blok von Leuten kommt, die traditionell extrem rechten Lösungen den Vorzug geben. Wir haben da eine schwarzbraune Vergangenheit in Belgien, vor allem in Flandern, wo während des Krieges sehr stark mit den Nazis kollaboriert wurde. Diese Leute sind bei ihren alten Ansichten geblieben. In den letzten Jahrzehnten haben sie sich nicht hervorgetraut. Aber jetzt, wo das Klima toleranter wird gegenüber Rassismus und Faschismus, wird das wieder laut gesagt, was ein bestimmter Teil der Bevölkerung die ganze Zeit über gedacht hat.

Angesichts der Parteienzersplitterung hält Ex- Premier Martens eine Regierungsbildung für sehr schwierig, obwohl die bisherige Regierungskoalition immer noch ein knappe Mehrheit hat. Wo liegt das Problem?

Dies hängt mit der belgischen Staatsreform zusammen, die im letzten Jahrzehnt begonnen wurde. Die dritte Phase der Umwandlung Belgiens von einem Zentralstaat in einen Bundestaat muß noch verwirklicht werden. Dazu gehört auch die Einführung der Direktwahl der Regionalparlamente, die im Prinzip von allen Parteien akzeptiert ist. Schwierigkeiten bereitet dies allerdings den französischsprechenden Leuten, die in den flämischen Gebieten rund um Brüssel wohnen. Sie wollen weiter für das wallonische Parlament wählen können. Dies war der Grund, warum die vergangene Regierung die dritte Phase der Staatsreform nicht durchsetzen konnte. Darum wird es erneut bei den Koalitionsverhandlungen gehen.

Könnten die Christdemokraten nicht mit den Liberalen zusammengehen?

Sie würden über eine zu knappe Mehrheit verfügen, um die anstehenden Probleme zu bewältigen. Außerdem sind die flämischen Christdemokraten, die die größte Partei des Landes stellen, regierungsmüde, auch wenn Martens sagt, er mache weiter. Aber eine Sechs-Parteien-Koalition ist nicht völlig ausgeschlossen, obwohl die Liberalen, vor allem die wallonischen Liberalen, weit rechts stehen. Das wird eine schwierige Konstruktion. Vielleicht haben wir schon in einem Jahr wieder Wahlen.

Ihre Schwesterpartei Ecolo in Wallonien war im Unterschied zu Agalev sehr erfolgreich. Was sind die Gründe dafür, und kann dies nun in konkrete Politik umgesetzt werden?

Die politische Landschaft ist in Wallonien völlig anders als in Flandern. Es gibt keine wirklichen Äquivalente für den Vlaams Blok und Van Rossem. Außerdem haben sich die Grünen als einzige Partei für die Lehrer eingesetzt, die seit Jahren auf ihre schlechte Lage aufmerksam zu machen versuchen. Ecolo wird sicher bei den Besprechungen über eine Regierungsbildung auf regionaler Ebene teilnehmen.

Wird es diese Möglichkeit auch auf nationaler Ebene geben?

Nein, auf nationaler Ebene wären wir nur das fünfte Rad am Wagen. Interview: Michael Bullard