Schamir droht mit vorgezogenen Wahlen

Noch steht Likud in der israelischen Wählergunst gut da/ Blockierung der Nahost-Konferenz denkbar  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

In Israel mehren sich die Spekulationen über mögliche vorgezogene Neuwahlen. Eine solche Entwicklung wäre nützlich, heißt es in Kreisen des regierenden Likud, denn gegenwärtig wächst die Popularität von Schamir bei den israelischen Wählern erneut. Das könnte sich jedoch während der bilateralen Verhandlungen mit den arabischen Staaten und durch weitere Belastungen des amerikanisch-israelischen Verhältnisses bald ändern.

Auch mit der wirtschaftlichen Entwicklung ist es in Israel zur Zeit nicht zum besten bestellt. Die Arbeitslosigkeit wächst unaufhaltsam. Zwischen den religiösen Koalitionspartnern und dem Finanzminister, der von Likud und anderen nichtreligiösen Fraktionen unterstützt wird, verschärft sich außerdem die Debatte um den Staatshaushalt. Dabei geht es vor allem um die Verteiliung der Gelder zwischen den religiösen Parteien und anderen Institutionen.

Darum ist man in Kreisen von Likudpolitikern jetzt der Meinung, daß eine Koalitionskrise jetzt „keineswegs als Unglück empfunden“ würde. Falls bis zum Dezember kein neuer Haushalt verabschiedet werden kann, werde es eben auch keine Regierung mehr geben, und das würde Neuwahlen bedeuten, wahrscheinlich im Mai.

Die Arbeitspartei beschuldigt den regierenden Likud-Block, ganz systematisch auf Neuwahlen hinzuarbeiten. Dann nämlich könnte das Gesetz über die Direktwahl des Ministerpräsidenten jetzt nicht mehr von der Knesset verabschiedet werden. Diese Änderung des Wahlgesetzes ist eine alte Forderung der Oppositionspartei. Von sich aus wird die Arbeitspartei mit Sicherheit nichts unternehmen, um Neuwahlen herbeizuführen, jedenfalls nicht vor einer Änderung des Wahlgesetzes. Denn nach Umfragen, die während der soeben abgeschlossenen ersten Runde ihres Parteitages geführt wurden, steht sie in der Gunst der Wähler zur Zeit sehr schlecht da.

Die Drohung mit Neuwahlen wird für Ministerpräsident Schamir allmählich zur ständigen Waffe in innen- und außenpolitischen Auseinandersetzungen. Aus seiner Sicht wäre es am vorteilhaftesten gewesen, Neuwahlen schon zum Zeitpunkt der Madrider Eröffnungskonferenz zu erreichen, weil die Arbeitspartei zu diesem Zeitpunkt einen Tiefstand in der Wählergunst von nur 22 Prozent erreicht hatte, Likud wäre hingegen von 60 Prozent der Israelis gewählt worden. Auch für den Fall mißliebiger Entwicklungen während der bilateralen Gespräche, die am 4.Dezember im Rahmen der Nahost- Konferenz beginnen, ist die Drohung mit Neuwahlen für Schamir eine Waffe. Der Fortgang der Konferenz könnte auf diese Weise für Monate blockiert werden.

Doch die Waffe wird allmählich stumpf. Zu oft wurde die Drohung bereits ausgesprochen. Vor zwei Tagen erklärte der israelische Ministerpräsident, es sei „möglich, daß die Wahlen um zwei Monate vorgezogen werden“, das hieße auf den Spätsommer. Tatsächlich wird die Entscheidung der Regierung jedoch vom Verlauf der bilateralen Gespräche und von der Entwicklung des Konflikts über die US-amerikanischen Kreditgarantien abhängen.