Vietnam: Das Öl und die Löhne locken

■ Nach der Kambodscha-Friedensregelung sitzt die japanische Geschäftswelt in den Startlöchern

Tokio (ips) — Eine wahre japanische Investitionswelle sei mit dem Ende des US-Boykotts gegenüber Vietnam zu erwarten, meinen Experten. Schon in diesem Jahr könnte Japan die UdSSR vom Platz des wichtigsten Handelspartners Vietnams verdrängen. Obwohl Tokio offiziell die US-Boykottpolitik mittrug, ließ es doch die Beziehungen zu dem südostasiatischen Land nie ganz abbrechen.

Japans Regierung hatte aus Rücksicht auf Washington jahrelang die Investitionsgelüste der eigenen Unternehmen in Vietnam zurückgehalten. Man hielt sich offiziell an die US-Linie, wonach der Wirtschaftsboykott erst nach dem Ende der vietnamesischen Einmischung im Nachbarland Kambodscha aufgehoben werden könne. Doch nun ist der Bürgerkrieg in Kambodscha zu Ende, und die japanischen Gesellschaften eilen bereits nach Vietnam, errichten Büros und knüpfen erste Kontakte mit den Behörden.

Von seiten der vietnamesischen Regierung bekommen sie dabei alle Unterstützung. „Wir pflegen mit dem ,Verband Südostasiatischer Staaten‘ (ASEAN) zwar schon sehr lange gute Beziehungen“, sagte der vietnamesische Experte für internationale Beziehungen, Ng Van Hoa, bei einem Tokiobesuch in der vergangenen Woche. „Taiwan, Hongkong und Südostasien sind derzeit unsere Haupthandelspartner. Aber sie können die großen Projekte nicht machen“, meinte der Experte. Dazu sei wohl erst japanisches Kapital notwendig. ASEAN-Mitglieder sind Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur, Thailand und Brunei.

Vietnam will deshalb eine rasche Normalisierung der Beziehungen. Man hofft auch auf einen kräftigen Anteil an den japanischen Entwicklungshilfegeldern, um die Infrastruktur modernisieren und damit eine allgemein bessere Atmosphäre für Investitionswillige schaffen zu können.

Die Hoffnungen sind berechtigt, meinen Fachleute. Denn Japan habe ganz im Gegensatz zu den USA die Wirtschaftsbeziehungen zu Vietnam nie ganz abreißen lassen. Auch die diplomatischen Beziehungen wurden immer aufrechterhalten. Japanische Parlamentierer kamen in regelmäßigen Abständen zu Besuchen ins Land.

Auch der neue Außenminister Michio Watanabe wird als Vietnam wohlgesonnen eingeschätzt. „Unter Watanabe wird Japan das Geld nach Vietnam fließen lassen“, erklärte ein Beobachter. „Das wirtschaftlich boomende Südostasien braucht nicht dieselbe Behandlung.“ Mit insgesamt 90 Millionen US-Dollar im Jahr 1990 ist Tokio bereits jetzt der größte Kreditgeber Hanois.

Was die Japaner neben den Möglichkeiten beim Aufbau der neuen Infrastruktur reizt, ist vor allem der Ressourcenreichtum Vietnams. Es ist deshalb kein Wunder, daß Vietnam sich sogar unter dem US-Embargo in Indochina zum wichtigsten Handelspartner Japans entwickelt hat.

Japanische Unternehmen haben bereits einige Großaufträge für die Erdölförderung in den südvietnamesischen Küstengewässern in der Tasche. Die derzeitige Erdölförderung des Landes in Höhe von 80.000 Barrel pro Tag könnte damit auf bis zu 600.000 Barrel pro Tag angehoben werden, schätzte etwa der Großkonzern Nissho Iwai. Mit dieser Fördermenge würde sich Vietnam nach Indonesien auf den zweiten Platz der südostasiatischen Erdölländer schieben.

Das große, kaum genutzte Arbeitspotential zieht viele kleine und mittlere Textil- und Elektronikunternehmen an, denen die Lohnkosten in den ASEAN-Staaten bereits zu hoch werden. Aus Tokio ankommende Unternehmervertreter, Banker und Handelsdelegationen wurden in diesem Jahr in Hanoi bereits in Scharen gesichtet.

Beobachter warnen daher schon vor negativen Folgen des japanischen Engagements. Die bekannt aggressiven Wirtschaftspraktiken könnten kleinere Unternehmen anderer asiatischer Staaten aus dem Markt drängen und die Regierungen der Region verärgern. In den Ohren mancher klang es bereits nach einer versteckten Drohung, als der Vorsitzende der einflußreichen japanischen Handelskammer, Rukuro Ishikawa, kürzlich sagte: „Japanische Firmen, die mit Vietnam Handel treiben möchten, werden von uns unterstützt.“ Suvendrini Kakuchi