„In diesen Momenten dachte ich, es sei besser, wenn ich stürbe“

■ Der authentische Bericht einer jungen Iranerin, die über Jahre von Folterknechten ausgepeitscht worden ist und ständig Zeugin von Exekutionen wurde

Ich heiße Raha. Ich wurde 1981 zusammen mit meinem Bruder und dessen Frau verhaftet. Abgesehen davon, daß ich, wie viele andere, im Verlauf der Revolution politisch tätig war, lag nichts gegen mich vor. Nach meiner Festnahme wurde ich gefoltert, um Geständnisse aus mir herauszupressen: von zwei Uhr nachmittags bis um zwei Uhr morgens wurde ich geschlagen, ausgepeitscht, an den Händen, an den Füßen. Sie hatten keinerlei Informationen über mich, sie beleidigten und erniedrigten mich, sie drohten damit, mich umzubringen. Ich spürte die Pistole in meinem Rücken, und in diesen Augenblicken dachte ich, es sei besser, wenn ich stürbe.

Mein Bruder wurde nach 40 Tagen hingerichtet. Gegen ihn lag nichts vor, außer daß er während der Schah-Zeit als Marxist jahrelang inhaftiert war. Wenige Minuten vor seiner Hinrichtung wurde meinem Bruder erlaubt, sich von seiner Frau zu verabschieden. Wir waren Zeugen dieser Hinrichtung, da uns nur eine einzige Wand vom Exekutionsplatz trennte. Zunächst hörten wir das Geknatter von Maschinengewehren, und wir spürten, wie diese Kugeln unsere Herzen trafen. Dann kamen einzelne Schüsse, und wir zählten sie mit: eins, zwei, drei... Es waren 86. Das bedeutete, daß an diesem Tag 86 Menschen hingerichtet wurden. Diese Szenen wiederholten sich zweimal wöchentlich, sonntags und mittwochs, wir hörten das Schreien der Gefangenen, wir erlebten die Hinrichtungen so nahe mit, als ob wir selbst getötet würden. Das war, um uns Angst einzujagen, um uns zu Geständnissen zu zwingen.

Die Folterungen beschränkten sich nicht auf die Zeit der Untersuchungshaft. Sie versuchten uns dahingehend zu beeinflussen, daß wir in der Vergangenheit verdorbene Menschen gewesen seien, uns sexuellen Begierden hingegeben und zur Konterrevolution gehört hätten. Bei den Verhören, die willkürlich erfolgten, sollten wir das ständig wiederholen, damit es Teil unserer eigenen Gedanken würde. Die Gefangenen sollten gezwungen werden, sich selbst als moralisch Abtrünnige anzusehen. Unsere Gedanken, unsere Ansichten durften wir nicht frei äußern. Das allein konnte zur Hinrichtung führen. Die Gefangenen wurden gezwungen, die Wärter, den Direktor, den Untersuchungsrichter mit Bruder oder Schwester anzureden. Sie hatten bestimmte Vorstellungen von Menschen, und sie wollten uns dazu zwingen, dieses Verhalten, dieses Denken zu übernehmen. Wir standen unter ständigem Druck. 1988 erfolgten die Massenhinrichtungen — viele Gefangene, die Kommunisten waren, wurden lediglich gefragt, ob sie sich an die Gebetsregeln hielten und Muslime seien. Wenn sie nicht die Antwort gaben, die man hören wollte, wurden sie hingerichtet.

In den Jahren 1983/84 haben wir versucht, unsere Anerkennung als politische Gefangene durchzusetzen. Das konnten die Gefängnisleitung und die Justizbehörde nicht hinnehmen. Die Folge: sehr harte Sanktionen. 20 bis 30 Personen wurden in Zellen gepfercht, die eine Größe von zweimal 3,50 Meter hatten. Der Platzmangel führte zu erheblichen Schwierigkeiten, vor allem nachts, weil es nicht genügend Raum zum schlafen gab. Der Gefängnisdirektor verordnete ständige Folterungen. Viele wurden so geschlagen, daß ihr Trommelfell verletzt wurde, andere hatten tagelange Blutungen. Man hat uns wiederholt gezwungen, die Nacht im Stehen zu verbringen und wach zu bleiben. Diese Folter dauerte einmal 36 Stunden.

„Sie zerstörten die Persönlichkeit“

Da diese Folterungen zu keinem Ergebnis führten, änderte man die Methode: Die Gefangenen mußten sich mit verbundenen Augen zwischen zwei Brettern mit dem Gesicht vor die Wand hocken. Man hatte das Gefühl, in einer Holzkiste eingepfercht zu sein. Wir durften uns nicht bewegen, keinen Laut von uns geben. Die Wärter näherten sich uns so leise, daß wir sie überhaupt nicht hörten. Auf einmal wurden wir durch Peitschenhiebe oder Tritte aufgeschreckt. Diese Art der Folter erstreckte sich über einen Zeitraum von zehn Monaten. Zwischen 22 Uhr und 6 Uhr durften wir schlafen. Wenn es Essen gab, wurde der Teller hinter unseren Rücken auf den Boden gestellt. Dann hatten wir drei Minuten Zeit, ihn zu holen, zu essen, und ihn wieder zurückzustellen.

In dieser Zeit gab es zahlreiche Gefangene, die die Folterungen nicht länger ertragen konnten. Sie erklärten sich bereit, alles zu leisten, was von ihnen verlangt wurde. Sie wurden interviewt und zu öffentlichen Erklärungen gezwungen, die mit starken Lautsprechern in alle Räume des Gefängnisses übertragen wurden. Für uns war das jedesmal ein Erlebnis, das nur schwer zu ertragen war, denn wir merkten, daß die Psyche unserer Freundinnen und Freunde gebrochen, ihre Persönlichkeit zerstört wurde. Sie selbst fühlten sich erniedrigt und kamen sich feige vor, oder als Menschen, die früher gesündigt hatten und jetzt in den Schoß des Islam zurückkehrten. Sehr viele Gefangene litten auch unter psychischen Krankheiten.

Jedesmal, wenn wir versuchten, gegen die Sanktionen zu protestieren, drohten sie uns mit einer Verschärfung der Folter oder der Hinrichtung. 1988 wurden diese Drohungen wahr gemacht: Gruppenweise wurden [männliche, d. Red.] Gefangene auf den Exekutionsplatz geführt und hingerichtet. Wir Frauen wurden zu Auspeitschungen verurteilt, die zum Tod führen konnten. Fünfmal am Tag wurden wir ausgepeitscht und erhielten jedesmal fünf Schläge. Wir führten einen Hungerstreik durch, aber es gab keine Reaktionen seitens der Gefängnisleitung. Sogar Hungerstreikende, die bereits bewußtlos waren, wurden weiter ausgepeitscht. Eine ist dabei getötet worden, drei haben Selbstmord begangen.

Als ich Hafturlaub erhielt und freigelassen wurde, war ich sehr glücklich, daß ich meine Familie und Bekannten wiedersehen konnte. Aber ich habe mir selbst geschworen, daß ich die Unterdrückung, die Belastungen dieser Zeit nie vergessen werde, und ich, soweit ich es kann, die Öffentlichkeit darüber informieren werde. Als ich aus dem Gefangnis kam, bestand die Möglichkeit, daß ich wieder festgenommen würde. Ich mußte mich regelmäßig melden, und der erste Termin, den sie mir setzten, war eine Woche nach meiner Freilassung. Ich war fest entschlossen, in dieser einen Woche zu flüchten.

Am Anfang hatte ich gesundheitliche Probleme. Ich hatte Schmerzen am linken Handgelenk, weil meine Hände auf dem Rücken über Kreuz gefesselt worden waren. Die Spuren der Auspeitschungen auf meinem Rücken und an den Füßen sind inzwischen weg. Was meinen psychischen Zustand angeht, fühle ich mich im Vergleich zu früher sehr viel einsamer. Das Problem ist, daß ich diese Einsamkeit liebe. Wenn ich von vielen Leuten umgeben bin, fühle ich mich bedrängt, möchte weg, allein sein. Ich weiß, daß das für mich nicht normal ist. Früher war ich sehr lebendig und liebte es, mit vielen Leuten zusammen zu sein. Außerdem habe ich jetzt erhebliche Probleme, normale Beziehungen zu Männern aufzunehmen, sogar zu engen Angehörigen wie meinem Bruder, weil die Folter an uns Frauen von Männern verübt wurde. Ich sehe die Männer als eine Art Täter an. Auch mit meinem Mann ist es schwierig. Im Kreis von Frauen fühle ich mich viel gelassener, Männern gegenüber dagegen bedrängt, eingeengt — so, als müßte ich mich verteidigen.

Jetzt bin ich seit vier Monaten in Deutschland und habe einen Antrag auf politisches Asyl gestellt. Mein Name stand auf der Liste von 83 Frauen, denen 1988 politisches Asyl versprochen wurde. Trotzdem ist noch nichts geschehen. Ich kam in ein Heim in Limburg-Weilbach, meine Bekannten leben aber in Hannover. Ich habe mehrere Anträge auf Verlegung gestellt, aber mir wurde immer die kalte Schulter gezeigt. Jetzt muß ich jeden Monat in das Heim fahren, um Urlaub zu beantragen. Weil ich dort nicht lebe, bekomme ich auch keine Unterstützung. Mein Mann hat ebenfalls einen Antrag auf politisches Asyl gestellt und erhält Sozialhilfe, davon müssen wir jetzt beide leben. Ich möchte nicht von anderen abhängig sein, ich möchte arbeiten und für mich selber sorgen. Ich fühle mich hier überflüssig, und das belastet mich sehr.