Der Hustler und die Queen

■ Neue Filme über Schwule

Für Minderheiten war 1991 ein gutes Filmjahr. Der Erfolg von Thelma and Lousie, dem Madonna-Dokumentarfilm Truth or Dare, den Filmen von schwarzen Regisseuren und schließlich von Paris is burning und My Own Private Idaho an den amerikanischen Kinokassen bezeugt mehr als nur ein Hoffähigwerden in Hollywood. Es geht nicht nur darum, was gezeigt wird, sondern auch, wie es gesehen wird und von wem. Während der apologetische Schwulenfilm schon seit geraumer Zeit Erfolg hat, führten die konfrontativen und Aids thematisierenden Filme ein Schattendasein. Bei ansonsten gravierenden Unterschieden stehen sowohl Gus van Sants My Own Private Idaho als auch Jennie Livingstons Paris is burning auf einer Kreuzung zwischen dem Mainstream und der Tradition des schwulen Avantgardefilms. Beide wären im Kino der Reagan-Ära nicht möglich gewesen.

Gus van Sants Helden sind getriebene Schmuddelkinder, Drifter, Hustler im pazifischen Nordwesten, deren Hymnen von Tom Waits gesungen und deren kurze Lebensläufe von ominösen Zeichen gelenkt werden. Idaho zeigt Highways, die ins Niemandsland führen, weite Himmel mit einem Wolkenflug, der so erratisch ist wie der Sprung der Lachse ins silberne Wasser, der immer wieder eingeblendet wird, oder wie der Kreuzzug des Protagonisten durch Coffee- Shops, Motels und Ruinen.

Mit der Figur Mike, dem Bild des »traurigen jungen Mannes«, wird hier an eine Tradition in der schwulen Ikonographie angeknüpft, deren Wurzeln vor dem »positiven« Schwulenimage der 70er Jahre liegen, indem befreite Sexualität mit schwuler Sexualität gleichgesetzt wurde. Dieser traurige junge Mann steht in einer Ahnenreihe, die von Jesus über den Hl. Sebastian bis zu Walt Whitman oder Oscar Wilde reicht. Van Sants neuer Dreh, der seine Filme einem breiteren Publikum öffnet, ist sein modernes Verständnis von schwuler Identität. In einem Interview mit der 'Village Voice‘ erklärte er: »Die sexuelle Identität einer Person ist um so vieles differenzierter als dieses eine Wort ‘gay‚. Du hörst nie, daß über jemand einfach ‘hetero‚ gesagt wird, weil das überhaupt nichts aussagt... Schwulsein ist eine viel zu komplizierte Sache, als daß sie einfach mit diesem Etikett bezeichnet werden könnte.«

Van Sant hat damit einer Existenz Kinoraum erschaffen, die zu Beginn der Yuppie-Dekade auf immer daraus ausgeschlossen schien.

Der Hustler und die Queen, so der Filmforscher Richard Dryer, waren die Hauptfiguren des amerikanischen Avantgardefilms der 60er Jahre, als die ersten offenen Darstellungen schwuler Sexualität mit der Kunstproduktion der Pop-Art zusammen fielen. Aus dem traurigen jungen Mann Cocteaus wurden die Flaming Creatures von Jack Smith: Die Gegensatzpaare künstlich-echt, männlich-weiblich, Sein-Schein berühren Fragen an die schwule Identität überhaupt. Ist sie etwas »Natürliches« oder ein soziales (Kunst-)Produkt? Macht sie unser Wesen aus, oder ist sie ein freigewähltes Accessoir? Sind Schwule näher an dem, was Theweleit den Narzismus-Pol nennt, und gibt es von da aus eine Verbindung zur Maskerade, zum schönen Schein, zum Schmuck, zu Camp?

Diese Fragen werden — mehr oder weniger explizit — in Paris is burning ausgelotet. Schon das Genre, der Dokumentarfilm in der Cinema-Verité- Tradition, hat die Suche nach der unverfälschten Wahrheit zum Thema. Auf den Bällen der schwarzen Drag Queens in New York geht es vor allem um eins: Kostüm, Make-up und Bewegungen müssen so echt wie möglich aussehen, The Real Thing ist gefragt, die Haut muß weich, die Knochen zart, der Busen füllig sein. Vogue models, operettenhafte Marineoffiziere, Breakdancer, Dynasty- Damen und Divine-Imitationen werden auf die Treue zum Original geprüft.

Trotz des offenkundigen Elends der Situation schwarzer Transvestiten wurde der Film in New York nicht als anthropologische Reise in eine Dickens-Unterwelt rezipiert, sondern sowohl in der 'New York Times‘ als auch in anderen bürgerlichen Blätrern als ein Lebensstil unter vielen mit wohlwollendem Interesse zur Kenntnis genommen. Der Reiz des prickelnd Exotischen ist diesem Blick natürlich nicht fremd. Dennoch gelingt es dem Film, sich weder unangemessen zu solidarisieren (weiße Filmemacherin mit unterdrückten Schwarzen) noch die Protagonisten als das Dämonisch-andere zu stilisieren. Vielmehr findet die Kamera einen eigenen Weg durch die Reihen der Tänzer und in die Gesichter der Gesprächspartner, der Differenz, Emphase und Intimität gleichermaßen zuläßt. Marian Niroumand

My Private Idaho ab heute in allen besseren Off-Kinos, Paris is burning in bescheideneren Off-Kinos, Homo-Promo -Filmreihe weiter im Babylon Mitte.